„Ich war der schwule Sänger einer Rockband“


Eigentlich spricht Kele Okereke nicht über sein Privatleben. Nicht über seine Hautfarbe, schon gar nicht über seine sexuellen Neigungen. Vor wenigen Monaten outete sich der Bloc-Party-Sänger dann in einem Interview mit dem „Butt Magazine“. Seither schweigt er wieder. Eigentlich.

Kele Okereke eilt der Ruf voraus, ein besonders unversöhnlicher Gesprächspartner zu sein. Die britische Presse berichtet von legendären Schweigesitzungen mit dem 28-jährigen Bloc-Party-Sänger, aus dem selten mehr herauszubekommen ist, als „Weiß nicht“, „Nein“, „Ich habe Ihre Frage nicht verstanden“. Fragen, die irgendeinen Bezug zur Hautfarbe haben, gilt es tunlichst zu vermeiden, Fragen zur Sexualität sind grundsätzlich heikel, obwohl Kele sich seit der Veröffentlichung seines Soloalbums The Boxer in diesem Punkt eine gewisse Lockerheit zugesteht. Aber seine Lockerheit hat ihre Grenzen, weshalb eine ratlose Kollegin schon nach fünf Minuten Interview bleich das Sprechzimmer verlässt – sie habe alles versucht, da war nichts zu wollen. Kele, um ein freundliches Lächeln nicht einmal bemüht, taucht kurz nach ihr auf und sagt, er brauche jetzt noch ein wenig. Wie es sich aus der Entfernung anhört, muss er wohl Gurgeln, mit Salzwasser, wie er später erzählt, sei das gut für die Stimme. Die ganze Rederei gefährde seinen Auftritt, und überhaupt: Diese Fragen, eine Zumutung!

Kele: Nach einer Woche Interviews kann ich die Fragen beantworten, ohne auch nur nachzudenken.

Vielleicht kann ich Sie überraschen.

Hoffentlich können Sie das. Die Frau vor Ihnen konnte es nicht. Ich glaube, sie war nicht besonders glücklich mit dem Ergebnis.

Sie sah jedenfalls nicht besonders glücklich aus. In Ihrem Blog haben Sie geschrieben, dass Sie es einfach müde sind, über sich selbst zu reden.

Ach, es ist nicht einmal das. Wissen Sie, ein Interview sollte immer eine Konversation sein, ein Dialog. So dass ich etwas von Ihnen erfahre, und Sie etwas von mir. Ansonsten fange ich langsam an, mir wie eine Maschine vorzukommen.

Das wollen wir unter allen Umständen vermeiden. Wie kommt es eigentlich, dass Sie plötzlich bereit sind, über Ihr Schwulsein zu reden, sich früher aber strikt geweigert haben?

Wie kommen Sie darauf? Eigentlich ist es eher so, dass ich mich geweigert habe, darüber in Musikzeitschriften zu reden. Ich hatte dabei immer dieses dumme Gefühl, ausgebeutet zu werden. Wenn ich über mein Privatleben sprach, schien es im Hinblick auf die Musik viel bedeutsamer zu sein, als es eigentlich war. Und ehrlich gesagt, hatte ich auch keine Lust, ein Sprachrohr zu werden. Es ist meine Entscheidung, wann und ob es um mein Privatleben geht. Und wenn ich in Sachen Privatleben besonders strikt war, lag es daran, dass es mir so vorkam, als würde man mir diese Entscheidungsmöglichkeit nehmen.

Wenn die Sexualität zum Thema wird, scheint man vor einem quasi unlösbaren Problem zu stehen: Einerseits ist die Sexualität natürlich wichtig, andererseits ist sie wiederum nicht so wichtig, dass sich alles mit ihr erklären ließe.

Exakt. Ich durfte dieses Problem bereits mit der Hautfarbenfrage kennen lernen. Als das erste Bloc Party-Album herauskam, wollten alle wissen, wie es ist, als Schwarzer in einer weißen Indie-Band zu singen. Und ich dachte nur: Ey, kommt Jungs, reduziert nicht alles, wofür ich gearbeitet habe, auf dieses eine Merkmal! Ich hab‘ auf solche Fragen dann sehr abweisend reagiert. Und so habe ich es auch bei Fragen nach der Sexualität gehandhabt.

Die Angst vor Reaktionen des Publikums spielte dabei keine Rolle?

Nein, überhaupt nicht. In England haben wir eine große Tradition von schwulen und bisexuellen Entertainern, also das war wirklich nicht das Problem. Eher waren es Probleme mit meiner Familie und meiner Vorstellung, dass meine Sexualität nichts mit meiner Musik zu tun habe. Heute weiß ich, dass das wohl ein bisschen naiv war. Ich dachte, meine Platten würden nur wegen der Musik gekauft, aber sie werden auch wegen der Dinge gekauft, für die ich als Person stehe. Und mir ist erst kürzlich klar geworden, dass man die Pflicht hat, über sein Leben zu reden, wenn man davon lebt, gewisse Teile seines Lebens zu verkaufen – und Musik ist ein Teil meines Lebens.

Ist es nicht seltsam, dass es in den Achtzigern so wirkte, als wären eigentlich alle Popstars schwul, vor allem die, die es garantiert nicht waren?

Ja, das ist im Rückblick wirklich interessant. Viele Bands trugen Make-Up und pflegten diese gewisse Dandy-Ästhetik, obwohl sie eindeutig heterosexuell waren – außer Boy George und George Michael.

Obwohl George Michael damals noch offiziell als heterosexuell galt.

Ich weiß. Was ich sagen wollte, dass alle schwul wirkten, es aber nicht waren. Und selbst die, die es waren, behaupteten es nicht zu sein, obwohl sie absichtlich so wirkten, wie etwa George Michael und zunächst auch Boy George. Es ist wirklich bizarr, wenn man sich das noch einmal vor Augen führt. Es gab damals kaum offen schwule Musiker. Ganz im Gegensatz zu heute.

Mittlerweile hatte sogar Ricky Martin sein Coming-out.

Hatte er?

Ja. Er hat über seine Homepage eine Erklärung veröffentlicht, und wie es aussieht, ist er jetzt wieder so beliebt, wie seit langem nicht mehr. Kann man es da verstehen, warum manche Stars sich oft so lange zieren, etwas zuzugeben, was ohnehin jeder weiß?

Von außen betrachtet mag es unverständlich sein, aber man weiß ja nie, in welcher Lebenssituation jemand tatsächlich steckt. Ich denke nicht, dass man auf schwule Männer Druck ausüben sollte, öffentlich zu ihrem Schwulsein zu stehen, wenn sie es nicht wünschen, wenn sie noch nicht dazu bereit sind. Deswegen kann ich auch den Blog von Perez Hilton nicht ertragen. Jemanden zu outen ist einfach schrecklich. Man muss den Leuten die Zeit, die sie für ihr Coming-out brauchen, zugestehen. Perez Hilton ist ein furchtbarer Mensch.

Aber haben Popstars nicht andererseits geradezu die Pflicht, sich zu outen, weil sie eben nicht nur Musiker sind, sondern auch Vorbilder?

Wie meinen Sie das?

Wenn selbst privilegierte Stars nicht den Eindruck vermitteln, zu ihrer Sexualität stehen zu können, dann können Teenager aus der Kleinstadt doch gleich einpacken.

Sie haben absolut Recht. Dennoch darf man niemals Druck ausüben.

Obwohl Sie versucht haben, Privatleben und Musik strikt zu trennen, gibt es in dem einen oder anderen Bloc-Party-Song doch gewisse Anspielungen – „Kreuzberg“ und „I Still Remember“ fallen mir da ein.

Ja, „I Still Remember“ ist wohl der schwulste Song, den ich jemals geschrieben habe.

Und wenn man den Text von „Kreuzberg“ liest, scheint es Ihnen in Berlin nicht besonders gefallen zu haben. Sie singen: „After sex/ The bitter taste/ Been fooled again/ The search continues“. Und hinterher kommen noch die Zeilen „Teach your sons/ How to truly love“ dazu. Was war da los?

Ich würde nicht sagen, dass es mir in Berlin nicht gefallen hätte, nur ist mir die schwule Szene hier in vielen Dingen zu extrem. Sehen Sie, fast jeder Club, jede Bar in der Stadt hat einen Dark Room. Man geht einfach hinein, hat mit irgendjemandem Sex und das war’s. Vielleicht setzt man sich hinterher noch zu Freunden an die Bar und hat einen Drink. Und was dabei aber fehlt, ist die Intimität, die Kommunikation – und das gefällt mir nicht. Sex wird so leicht verfügbar und letztlich auch völlig bedeutungslos. Das ist leer, es verdirbt uns, es stillt nie den Hunger. Wir wollen immer mehr, und ich glaube, dass uns das letztlich nicht gut tut. Aber ich mag Berlin, nur fühlt sich die sexuelle Seite der Stadt leider viel zu kalt an.

Und ist es nicht auch so, dass Dark Rooms immer viel zu dunkel sind? Man will doch sehen, mit wem man da Sex hat.

Exakt. Am Ende hat man mit jemanden Sex, mit dem man bei Licht nicht einmal sprechen würde. Ich verstehe es nicht. In New York ist es ähnlich. Viele Schwulenbars sind so dunkel, dass man seine Hand vor Augen nicht sieht. Und ich will einfach weg von der Idee, dass schwule Sexualität zwielichtig und schäbig ist. Ich mag Sex, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich mag Sex, wenn es hell ist, wenn die Sonne scheint. Das fühlt sich einfach besser und natürlicher an. Ich weiß nicht, warum ich mich dazu in irgendwelchen finsteren Kellern verstecken sollte.

Und in diesen Kellern ist es auch noch schmutzig und stinkt.

Genau.

Dreht sich in der Schwulenszene vielleicht deshalb alles zu sehr um Sex, weil Sexualität das entscheidende Merkmal ist, das die Szene konstituiert?

Ich denke nicht, es geht ja nicht nur um Sex. Und im Grunde ist es bei den Heteros doch nicht anders: Leute gehen in Bars und Clubs, um jemanden für sich zu finden. Ich sehe da keinen Unterschied. Nur muss man als schwuler Mann aufpassen, dass man sich Grenzen setzt und nicht auf dem Grabbeltisch landet.

Grabbeltisch?

Ja, geht hinaus, habt Spaß, aber denkt nicht immer nur an Sex. Oh je, wenn man mir so zuhört, denkt man bestimmt, ich sei irrsinnig prüde.

Sind Sie das?

Ich hoffe nicht.

Statt schwul bevorzugen Sie lieber die Bezeichnung queer. Wieso machen Sie da einen Unterschied?

Queer bedeutet für mich, dass es unendlich mehr Möglichkeiten gibt, während schwul heißt, dass es keine fließenden Übergänge existieren, dass man nur auf Männer steht. Immer wieder finde ich auch Frauen attraktiv. Tatsächlich hatte ich bis Ende vergangenen Jahres eine Beziehung zu einer Frau, und es war die letzte Beziehung, die mir emotional etwas bedeutete. An dem Begriff queer gefällt mir, dass er mir den Weg offen lässt, alle möglichen Leute anziehend zu finden und diese Möglichkeit auch auszuleben. Die Begriffe hetero und schwul hingegen suggerieren Ausschließlichkeit.

Da könnten Sie aber doch gleich sagen, dass Sie bisexuell sind, oder?

Na ja, ich weiß nicht. Ich identifiziere mich mit der Schwulenkultur. Ich fühle mich wie ein schwuler Mann, aber meine Sexualität ist fließend, das hab‘ ich auch immer so gesagt. Nur war das offenbar schwer zu vermitteln. Weil die Vorstellung von queer nicht wirklich existiert, wurde ich in heterosexuellen Magazinen automatisch zu einem schwulen Mann. Ich war der schwule Sänger in einer Rockband. Und der Versuch etwas dagegen zu sagen, hätte mich wie einen Lügner, wie einen Spinner aussehen lassen. Als hätte ich ein Problem damit, schwul zu sein.

Wenn ich an das Wort queer denke, hab‘ ich sofort jene Jungs vor Augen, die gern den Eindruck erwecken, als wären sie superschwul, obwohl sie tatsächlich strikt heterosexuell sind.

Ach ja? Vielleicht wird der Begriff in Deutschland anders verwendet?

Nein, der wird schon ähnlich verwendet, er kommt mir nur wie eine Mogelpackung vor.

Wieso?

Weil die meisten Leute, die sich als queer bezeichnen, ihre Offenheit eher antäuschen als leben. Und selbst wenn man sich als schwul oder hetero bezeichnet und es plötzlich anders kommt, als man denkt, dann lässt man sich doch nicht von irgendwelchen Begrifflichkeiten einschränken, oder?

Da könnten Sie Recht haben.

Karl Lagerfeld hat einmal gesagt, dass sein Schwulsein für ihn nie ein Problem war, weil er es einfach nicht als Problem betrachtet hat. Können Sie mit der Aussage etwas anfangen?

Klingt natürlich gut. Ich weiß nicht, unter welchen Umständen er aufgewachsen ist – ob er arbeiten musste, ob er reich war, aus welcher Schicht seine Familie stammt. Wenn man im Modebusiness arbeitet, dürfte Homosexualität ein zu vernachlässigendes Problem sein. Aber wenn alle um einen herum Heteros sind, sieht es schon anders aus.

Sie hatten vor allem Probleme mit Ihren Eltern?

Jeder hat Probleme mit seinen Eltern. Als Kind ist es dein Job, Probleme mit den Eltern zu haben. Aber ich möchte hier nicht über meine Eltern sprechen.

Dann reden wir über jüngere Leute. Denken Sie eigentlich, dass die Jugend heute konservativer ist als früher?

Wie kommen Sie darauf?

Mir scheint, dass auch in Jugendkulturen abweichendes Verhalten weniger geduldet wird. Meine Theorie ist, dass Hip-Hop die kleinbürgerlichen Werte zurück in den Pop gebracht hat.

Aber es hört ja nicht jeder Hip-Hop. Und es gibt auch viele homophobe Leute, die garantiert kein Hip-Hop hören. Und sind heterosexuelle Männer heute überhaupt homophober als früher? Ich bin mir da nicht so sicher. Ich glaube, ich verstehe Ihre Frage nicht. Können Sie die noch einmal präzisieren?

Gewiss. Hip-Hop war in den Neunzigern und Anfang der Nullerjahre die dominierende Jugendkultur. Und sie war im Unterschied zu den Jugendkulturen der vorherigen Jahrzehnte die erste, bei der es nicht um Selbstfindung und Aufbruch zu einer unbestimmten Art von Freiheit ging, sondern um das Dazugehören, um das Ankommen. Daher auch das Beharren auf kleinbürgerliche Werte wie Haus, Geld, Familie, Sicherheit et cetera mit einer eindeutigen Rollenverteilung. Homophobe Texte gab es oben drauf.

Hmm, ich weiß nicht. Natürlich ist Hip-Hop auch homophob, aber fast alle Spielarten der Kultur sind homophob. Rock ist auch homophob.

Sie glauben also nicht, dass eine dominierende Jugendkultur einen Effekt hat?

Keine Ahnung, ich weiß nicht.

Fotoalbum & Albumkritik ME 7/10

CD im ME 7/10 und 10/10

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