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Jim Morrison ist der Pin-up-Boy der Rebellion


Schamanentänze auf der Bühne, skandalöse Auftritte im Fernsehen, Trips auf Meskalin: Jim Morrison war der erste echte Rockstar. Niemand beherrschte die neuen Posen besser, niemand inszenierte sie konsequenter. Doch erst sein früher Tod in Paris machte ihn unsterblich.

Neulich befeuerte ausgerechnet Ray Manzarek, Organist der Doors, in der britischen Zeitung „Daily Mail“ mit launigen Anekdoten die Gerüchte um ein obskures zweites Leben des Jim Morrison: „Ich frage mich oft, ob sein Tod nicht eine ausgeklügelte Scharade war“, sagte Manzarek, „Jim war eine rastlose Seele, immer auf der Suche nach etwas Neuem im Leben, und selbst sechs Jahre voller Erfolg – und Exzesse – mit den Doors waren ihm nicht genug. Ein Jahr zuvor zeigte er mir Broschüren für die Seychellen und fragte: ‚Wäre das nicht der perfekte Fluchtort, wenn alle denken, du wärst tot?'“

Mal heißt es, die CIA habe ihn auf dem Gewissen, mal der französische Geheimdienst

Dabei gehört die Vorstellung, Morrison lebe als etwas korpulenter Eremit mit Stirnglatze, weißem Bart und Bierbauch in einer Strohhütte in einer einsamen Bucht auf einer abgelegenen Insel im Indischen Ozean noch zu den harmloseren Verschwörungstheorien. Im US-Bundesstaat Ohio lebt ein Mensch davon, als angeblicher Agent „Interviews“ mit Jim Morrison zu vermitteln, der angeblich auf seiner Farm lebe, Pferde züchte und – außer seinem „Agenten“ – keinen Menschen mehr sehen wolle. Unter jenen, die seinen Tod akzeptieren, kursieren allerdings ähnlich krude Gerüchte. Mal heißt es, die CIA habe ihn auf dem Gewissen, mal der französische Geheimdienst. Zuletzt verbreitete der frühere Clubbesitzer und Radiomoderator Sam Bernett in seinem Buch „The End: Jim Morrison“ die Variante, der Star sei nicht in der Badewanne, sondern auf dem Klo gestorben. Demnach habe Morrison schon zwei Tage vor seinem offiziellen Todesdatum auf der Toilette von Bernetts Pariser Disko „Rock’n’Roll Circus“ eine Überdosis genommen: „Der hübsche Junge aus Kalifornien lag wie ein bewegungsloser Brocken zusammengekrümmt auf dem Klo, er war tot.“ Drogendealer, darunter Jean de Breteuil, hätten den leblosen Körper dann in dessen Wohnung platziert. Marianne Faithfull sei natürlich auch dabeigewesen, was Marianne Faithfull freilich bestreitet.

Gesicherter als die Umstände seines Todes sind da schon die Erkenntnisse über sein Leben. Jim Morrison hat eine weitgehend wurzelfreie, weil nomadische Jugend verbracht. Die Familie zog stets dem Vater hinterher, dem Offizier und späteren Admiral George Stephen Morrison. Ein interessanter Typ, den sich näher anschauen sollte, wer Jim Morrison verstehen will. Als Fähnrich erlebte der Vater den japanischen Überfall auf den US-Kriegshafen Pearl Harbour in Hawaii, später flog er Kampfeinsätze. Ab 1963 kommandierte er einen Flugzeugträger und ab 1964 die amerikanische Pazifikflotte.

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Es ist zunächst einmal die ganz klassische Konfliktlinie zwischen einem disziplinversessenen, strengen und staatstragenden Vater auf der einen und einem weichen, musisch begabten Sohn auf der anderen Seite. Ausgetragen wurde dieser Konflikt mit Worten. Jim interessiert sich nicht für Bruttoregistertonnen, sondern für Poesie. Mit zwölf Jahren führte er bereits ein Tagebuch, bald verschlang er Jack Kerouacs Schlüsselroman der Beat-Generation, „Unterwegs“, und Allen Ginsbergs nicht minder epochales Gedicht „Das Geheul“. Trivialer Schund im Vergleich zur Literatur, die er als Jugendlicher studierte: Honoré de Balzac, Charles Baudelaire (mit seinen fiebrigen „Blumen des Bösen“), Céline oder James Joyce, dessen „Ulysses“ er nach Einschätzung seines Englischlehrers „als einziger Schüler nicht nur gelesen, sondern auch verstanden hatte“. Mit den psychoanalytischen Theorien von Sigmund Freud und Carl Gustav Jung machte er sich ebenso vertraut wie mit den Grundlagen des antiken Theaters. Der junge Morrison muss Sprache nicht nur als Instrument zur Weltdeutung, sondern auch als wirksames Werkzeug zur Schaffung einer eigenen, besseren Welt erlebt haben. Zwei Bücher sollten dabei einen bleibenden Eindruck hinterlassen: Friedrich Nietzsches Frühwerk „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ und eine Biografie des Lebens von Alexander dem Großen von Plutarch.

THE DOORS, das Debüt der Band mit dem Song „Light My Fire“ erschien am 4. Januar 1967.
THE DOORS, das Debüt der Band mit dem Song „Light My Fire“ erschien am 4. Januar 1967.

Ab 1964 studierte er an der Universität von Kalifornien in Los Angeles beim legendären Regisseur Josef von Sternberg („Der blaue Engel“) Film- und Theaterwissenschaft. Nebenbei verfasste er Gedichte und Songtexte, einer seiner Studienkollegen war ein gewisser Francis Ford Coppola. Seine filmischen Versuche freilich waren nicht sehr vielversprechend. Ein Fragebogen, den er zu jener Zeit ausfüllte, erzählt von einem ernsten, aber nicht ungewöhnlichen jungen Mann. Lieblingsschauspieler: Jack Palance. Lieblingsfernsehsendung: Nachrichten. Lieblingsfarbe: Türkis. Worauf ich bei Frauen achte: Haare, Augen, Stimme, Gang. Was würdest du beim ersten Date machen? Reden. Pläne/Ambitionen: Filme drehen.

https://youtu.be/6ojURx4Zdqc

Als sich sein Vater brieflich über die Berufswahl seines Sohnes beschwerte, brach Jim Morrison den Kontakt zu seiner Familie ab. In Venice Beach, so will es die Legende, trat Morrison spaßeshalber mit Rick and The Ravens auf, der Band des Keyboarders Ray Manzarek. Später gesellten sich Robby Krieger (Gitarre) und John Densmore (Schlagzeug) hinzu, und bald wurde die Band auf Anregung Morrisons umbenannt in The Doors, angelehnt an ein Zitat aus Aldous Huxleys Drogen-Essay „Die Pforten der Wahrnehmung“. Die Grundthese des Büchleins griff eine Theorie des französischen Philosophen Henri Bergson auf, nach der das Gehirn vor allem eliminierend arbeitet, uns also als eine Art Filter vor der Flut universeller Erkenntnis schützt. Huxley machte, nach Experimenten mit Peyote, Meskalin und LSD, auf die Möglichkeit aufmerksam, dass das Bewusstsein „erweitert“ werden könne. Eine Botschaft, die nicht nur bei der Hippie-Bewegung auf sehr fruchtbaren Boden fallen sollte. Bei einem der ersten Konzerte in Clubs wie „London Fog“ oder dem berühmten „Whisky A-Go-Go“ lernte er die Modemacherin Pamela Courson kennen …