Kassetten-Special

Return To The Planet Of The Tapes: Warum und wo die gute alte MC ihr Revival feiert


Es musste ja so kommen, also zurückkommen. Weil in der alles dominierenden Retromania eben alles wiederkehrt, was dazu imstande ist. Die Kassette ist also wieder da. Echt jetzt. 40 Jahre nach dem ersten Walkman, der am 1. Juli 1979 verkauft wurde. Es ist ein kleines Comeback, zugegeben, aber ein beachtenswertes, da es viel über uns und unsere aktuellen Befindlichkeiten aussagt.

Wieso eigentlich ausgerechnet die Kassette?

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Auch die Industrie entdeckt dieselben Mechanismen hinter dem Mini-Boom. Wir haben uns mit Rebecca Davies von Urban Outfitters unterhalten. Seit die Modekette vor drei Jahren Kassetten und -spieler in ihr Sortiment genommen hat, ist sie mit exklusiven Produkten von Künstlern wie Kanye West, Taylor Swift und Alt-J maßgeblich an der Rückkehr der MC beteiligt: „Für viele unserer Kunden haben Kassetten erst mal nichts mit Nostalgie zu tun – sie waren noch nicht geboren, als Kassetten wirklich benutzt wurden“, sagt Davies. „ Sie wollen etwas zum Anfassen haben und wieder eine echte, physische Sammlung ihrer Lieblingsmusik besitzen, weil sie so etwas gar nicht mehr kennen.“

Für Sub Pop sind Kassetten Ehrensache

Für ein Plattenlabel wie Sub Pop ist die Re-Integration von Kassetten in ihr Angebot fast Ehrensache. Andrea Hart, die sich bei den Seattlern um die Kassetten-Produktion kümmert, sagt: „Als das Label 1987 gegründet wurde, waren unsere Compilations super wichtig. Viele sind in den 90ern genau damit groß geworden. Kassetten gehören zur Geschichte des Labels.“ Was in so einer Nische schon als Verkaufserfolg gilt? Hart: „Es gibt einige Big Seller wie Afghan Whigs und vor allem Sleater-Kinney, davon verkaufen wir schon im Hunderter-Bereich. Von den meis­ten Acts sind es allerdings weniger.“ Insgesamt überschreiten in den USA nur etwa 25 Titel pro Jahr die 1000er-Marke.

Zu den Interviews mit Heart und Bognanno:

Zu diesen gehört die bei Sub Pop gesignte Band Bully um Alicia Bognanno noch nicht. Das hielt sie aber nicht davon ab, ihre bisherigen zwei Alben auch als MC veröffentlicht zu haben. „Kassetten sind erschwinglich und man kann sie so gestalten, wie man möchte“, sagt Bognanno. „Sub Pop schickt uns vorab eine Liste mit Farben und Gestaltungsmöglichkeiten, von denen wir dann auswählen können. Für uns sind Kassetten mittlerweile so wichtig geworden, dass sie nach Vinyl am zweithäufigsten als physisches Format gekauft werden. CDs gehen nicht mehr so gut.“ Bognanno selbst sei zwar nicht mehr Teil der „Generation Kassette‘, „aber als Kind bin ich damit groß geworden, Musik meiner Eltern auf Kassette zu hören. Und ich hatte unglaublich lange ein Auto, das nur ein Radio mit Kassettendeck hatte.“

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Robust, günstig und vielseitig

Da hatte sie ein langes Nachleben, die Kassette: in alten Autoradios. Ob als zu Tode genudeltes Tape oder als Adapter, mit dem man CDs und später MP3 abspielen konnte. Und sofern sie nicht lange auf dem Armaturenbrett in der Sonne brieten, konnte man ihnen zumindest eine Qualität nicht absprechen: hart im Nehmen zu sein. Da sprang nichts wie etwa bei einem herumgefahrenen CD-Player.

„Mit Kassetten kannst du allein durch das Anderssein ein bisschen mehr Aufmerksamkeit kriegen.“ (Kevin Kuhn, Die Nerven)

Diese Stabilität macht die Kassette bis heute in der Noise-Szene zu einem festen Bestandteil, wie uns Kevin Kuhn, Drummer der Nerven und von Karies berichtet: „Kassetten sind zum einen auch preiswert und robust, eine Leerkassette kostet dich weniger als einen Euro. Jeder hat zwar schnell auch eine CD-R selbstgebrannt mit Pappschuber. Aber mit Kassetten kannst du allein durch das Anderssein ein bisschen mehr Aufmerksamkeit kriegen.“ Die Beliebtheit des Formats in Punkkreisen lässt sich also auch aus finanzieller Sicht erklären.

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Wo Vinylpresswerke, von der wiedererstarkten Nachfrage überfordert, teils sechs Monate bis zur Lieferung einer neuen Platte mit von vielen Faktoren abhängigen, aber vergleichsweise stets viel höheren Herstellungskosten benötigen, lassen sich MCs bereits für etwa 1,50 Euro pro Stück in kleiner Auflage anfertigen und schnell vervielfältigen, und sei es zu Hause. Auch der Fan ist wohl eher bereit, fünf Euro für eine Kassette als das Fünffache für eine LP zu berappen.

Die Kassette steht für Entschleunigung

Die Popularität bei Punks hat noch einen weiteren Grund, wie J. Edward Keyes vom Online-Musikdienst Bandcamp sagt: „Da Punks sich als Außenseiter fühlen, passt ein Tonträger, auf den herabgeschaut wird, gut zu ihnen.“ Er weiß, wovon er spricht. 2017 wurden 17 872 MCs bei Bandcamp veröffentlicht, der Verkauf ist im Vergleich zum Vorjahr um 41 Prozent gestiegen. „Zwar bringen heute Acts aus allen Genres MCs heraus, was sie aber eint, ist eine Anti-Mainstream-Mentalität“, sagt Bandcamp-Entwickler Ben Walker.

Die Kassette versinnbildlicht eine Abkehr von der hektischen Masse, steht für Rückzug, für „back to mine“, für Entschleunigung. Dorthin locken uns ja auch retromantische Serien wie „Stranger Things“, deren Soundtrack selbstverständlich als Kassette erschienen ist, wobei die Hülle der einer VHS-Kassette und das Gehäuse einem VHS-Tape nachempfunden ist. 3 000 Stück davon wurden 2017 in den USA verkauft, Platz vier im Jahresranking. Darüber bestreiten die Top drei diverse Formate des „Awesome Mixtape“, Schlüssel-Objekt aus der Sci-Fi-Filmreihe „Guardians Of The Galaxy“. Darunter aber auch Klassiker von Eminem bis Nirvana.

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