Kassetten-Special

Return To The Planet Of The Tapes: Warum und wo die gute alte MC ihr Revival feiert


Es musste ja so kommen, also zurückkommen. Weil in der alles dominierenden Retromania eben alles wiederkehrt, was dazu imstande ist. Die Kassette ist also wieder da. Echt jetzt. 40 Jahre nach dem ersten Walkman, der am 1. Juli 1979 verkauft wurde. Es ist ein kleines Comeback, zugegeben, aber ein beachtenswertes, da es viel über uns und unsere aktuellen Befindlichkeiten aussagt.

Zunächst mal die Fakten: In den USA wurden 2016 129 000 Musikkassetten verkauft, das entspricht einem Anstieg um 74 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 2017 ging es noch mal um 35 Prozent nach oben. Das ist zwar nur ein kleiner Bruchteil der 2017 dort insgesamt knapp 170 Millionen verkauften physischen Tonträger, aber dennoch bemerkenswert, wenn man jede einzelne verkaufte Kassette verrückt findet. Und wenn man bedenkt, dass viele davon die aktuellen Alben von Justin Bieber, The 1975 und King Krule sind. 70 Prozent der Kunden des dominanten Kassettenherstellers der USA, National Audio, sind obskure Labels mit ebensolchen Künstlern, aber der Rest besteht aus Konzernen wie Sony, Disney und Universal. Vielleicht ist Comeback nicht der richtige Begriff, war die Kassette doch nie wirklich weg, auch wenn sie Anfang der 90er-Jahre von der CD scheinbar verdrängt wurde.

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2011 wurde zwar anlässlich der Schließung des Kopierwerks der niedersächsischen Firma Pallas, dem letzten deutschen Hersteller von MCs,über den „Tod der Kassette“ lamentiert. Doch bereits seit 2004 und mit steigender Auftragslage stellen etwa die Leipziger von T.A.P.E. Muzik Musikkassetten her. Die Maschinen, mit denen man dort arbeitet, „sind aus den 80ern, seitdem wird auch nichts mehr hergestellt“, sagt Projektmanagerin Franziska Kohlhase (hier zum Interview mit ihr). „Teilweise haben wir auch Maschinen aus den 70ern.“ Und obwohl die Gründung von T.A.P.E. vor allem mit Vergangenheitsbewahrung zu tun hatte, ist der Großteil ihrer aktuellen Kunden laut Kohlhase „sehr jung. Wenn man sich die Artworks anguckt oder die Musik anhört, die da auf Kassette erscheint, dann ist alles sehr modern und eher experimentell. Das Medium ist frisch und lebendig, nicht verstaubt.“

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Gegen die unheimlich präzise berechneten Algorithmen

Vertraute Worte, bekannt vom anhaltenden Vinyl-Comeback. Geht es dort aber primär um die Liebe zum gemeinhin als cool erachteten Medium und dessen Fetischisierung, ist im Fall der Kassette der Trash-Faktor als Motivator nicht zu leugnen. Nicht nur sind Kassetten denkbar unästhetische Tonträger: kein Cover, das sich wie bei einer Schallplatte in seiner ganzen Pracht entfalten kann. Vor allem aber sind Kassetten irre unpraktisch: das spontan herausquellende Band, das verschleißbedingte Leiern, von dem es kein Zurück zur Ur-Qualität der Aufnahmen gibt.

In den USA wurden 2016 129 000 Musikkassetten verkauft, das entspricht einem Anstieg um 74 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Und doch liegt in vor allem einer ihrer Unannehmlichkeiten der bedeutendste Grund für den zweiten Frühling: in der annähernd nonexistenten oder zumindest hinreichend komplizierten Möglichkeit zum Skippen. Hier treffen sich LP und MC. Ähnlich den in Kennerkreisen aktuell populären Listening-Partys in Plattenläden, wo ein Album durchläuft und man bei Bier und/oder Wein danebensitzt und „nur“ aufmerksam lauscht, kann man auch bei einer Kassette nicht schon nach dem ersten Refrain zum nächsten Lieblingslied weiterwischen. Stattdessen bewusstes Hören eines bewusst so konzipierten Kunstwerks. Eine Weigerungshaltung gegenüber der Willkürlichkeit von Radio und den unheimlich präzise berechneten Algorithmen von Streamingdiensten und Videoportalen.

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