Leises Wunder


Man muß diese hellblauen Augen gesehen haben, wie sie einen unablässig von neuem fixieren und dann gleich wieder in die Ferne schweifen. Dann sagt Dolores O’Riordon Sätze wie: „Ich wollte eigentlich nur für Leute singen, die mich gut kennen. Als ich dann zum ersten mal vor einem Publikum singen mußte, war ich regelrecht blockiert, ich stand starr da wie eine Wachsfigur und zog mir die Haare ins Gesicht. Eigentlich mag ich es auch heute noch nicht, wenn man mir beim Singen zuschaut. Aber mit der Zeit habe ich gelernt, die auf mich starrenden Leute zu ertragen.“ Dolores nestelt an der Tischdecke herum und grübelt. Sie ist genauso wie die Musik ihrer Band, die Cranberries aus Irland: Nachdenklich, vorsichtig, zerbrechlich. Ein Pop-Wunder der sanften Art. Und dann plötzlich wieder explodierend vor Selbstbewußtsein: „Wenn man mich mit Sinead O’Conor vergleicht, sage ich Dankeschön, aber das geht zu einem Ohr rein und zum anderen wieder raus. Hör’mal, wir haben von unserer ersten Platte drei Millionen Stück verkauft, da kommt man zu einem Punkt in der Karriere, wo einem sotche Vergleiche herzlich egal werden dürfen.“ Jetzt erscheint das zweite Album der Cranbrries, ‚No Need To Argue‘, und Vergleiche sind wiederum vollkommen unangebracht, findet Dolores. „Ich schreibe über mein eigenes Leben, als Frau im Jahre 1994. Wir sind keine Band, die ständig irgendwelchen Trends hinterherläuft. Es muß auch nicht jeder unsere Musik mögen.“ Viele ihrer Freunde seien sogar regelrecht schockiert gewesen von der zweiten Platte: ,,’No Need To Argue‘ ist voller Lieder über Aggression und Angst. Das letzte Jahr war nicht sehr gut für mich, wir verkauften zwar viele Platten, aber ich war sehr unglücklich. Ich hatte einen richtigen Knoten im Kopf.“ Inzwischen blickt sie aber nach vorne. „Ich bin seit letztem Sommer verheiatet. Irgendwann möchte ich auch Kinder haben“, sagt sie wieder ganz sanft. „Aber im Moment bin ich noch Sängerin und werde dafür alles geben.“ Die Cranberries sind ihre Band, sie ist die Chefin, auch wenn sie das so nicht wahrhaben will: „Seit ich vier Jahre alt war, wollte ich Sängerin werden. Ich bin mit einer guten Stimme geboren worden und ich will sie auch benutzen.“