Miles Davis – „Bitches Brew“


Das Doppelalbum leitete eine Bewegung ein, die gemeinhin als „Fusion“ bezeichnet wird und deren führende Vertreter allesamt ehemalige Miles-Davis-Mitstreiter waren. Während jedoch Bands wie Weather Report heute ziemlich angestaubt klingen, verursachen bei „Bitches Brew“ nur die ehemals so modischen Klangfarben der elektrischen Fender-Pianos ein kleines nostalgisches Lächeln. In allen anderen Aspekten ist die Musik taufrisch — und auf jeden Fall um Lichtjahre besser als alles, was Miles nach seinem „Comeback“ im Jahre 1980 produzierte. „Bitches Brew“ dagegen ist geprägt von einem rastlosen Forschergeist und macht dem Ruf des Jazz-Innovators, der Miles seit Beginn der fünfziger Jahre anhaftete, alle Ehre. Miles selbst bezeichnete die Besetzung von „Bitches Brew“ als „beste Rock nRoll-Band der Welt“, doch die Musik war in ihrer Polyrhythmik und strukturellen Komplexität viel gewagter und progressiver als alles, was man damals von Rockbands zu hören bekam. „Bitches Brew“ ist ein improvisalorisches Vabanque-Spiel. das Ergebnis eines dreitägigen Open-End-Jams: Klangkaskaden blubbern und wirbeln über Bass-Ostinatos, durchpflügt von den rastlosen Rhythmen dreier Schlagzeuge. Mit Ausnahme von Wayne Shorters sanftem „Sanctuary“ dienen musikalische Themen lediglich als vorübergehende Sammelpunkte. Den Song als geschlossene Form gibt es nicht mehr. Statt dessen bilden skelettartige Strukturen eine zentrale Achse, um die vielschichtige Improvisationen kaleidoskopisch kreisen. „Bitches Brew“ ist ein einziger „acid movie“, bei dem ständig beunruhigende Nebenhandlungen am Rande der Leinwand zischen und vibrieren. Nichts wird aufgelöst, die Musik geht weiter und hört irgendwann einfach auf. Solisten steigen plötzlich empor, starten heftige Attakken und tauchen dann ebenso unvermittelt wieder ein in den Groove und das schimmernde Geflecht der Keyboards. Wie gesagt: Das ist kein Rock’n’Roll, aber doch eines der besten Stückchen Musik, die jemals auf Vinyl (oder CD) gepresst wurden.