Künstlerin der Woche

Mitski im Interview: „Tieftraurig zu sein, hat auch immer etwas Lächerliches“


Mitski spinnt Indie-Dramen mit feinem Witz. Kaum eine Künstlerin reibt uns so clever unter die Nase, wie haarsträubend albern große Traurigkeit sein kann. Warum denken nur alle, sie hätte ihre Gefühle nicht im Griff?

Der Marlboro Man kann einem leidtun. Gerade noch der coolste Typ der Welt, ist der Cowboy heute ein Anachronismus: breitbeinig, hypermännlich. Ein Widersacher des Fortschritts. Ikone aller, für die sich die Welt zu schnell dreht. Was hat es nun zu bedeuten, wenn Mitski, 27 Jahre alt und US-Japanerin, im Titel ihres neuen Albums fordert: BE THE COWBOY?

Autonomie und Außenseitertum

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„Ein Cowboy ist unabhängig, super lässig, vielleicht sogar arrogant. Sehr amerikanisch also“, sagt Mitski. „Ich habe mir immer scherzhaft gesagt, dass ich so auf der Bühne wirken will. Und dann habe ich gemerkt: Wenn ich so sein will, muss ich das eben versuchen.“ Nun ist BE THE COWBOY aber weder regressiv noch retro, sondern findet, wie in anderer Form auch Mitskis Kollegin Angel Olsen, zwischen Klagelied und Uptempo-Pop zu einer unwiderstehlichen Jetztversion von klassischem Rock-Storytelling. Mit der Cowboy-Metaphorik stellt Mitski vielmehr eine Frage: Warum gesteht man ihr nicht zu, der Boss ihres eigenen Lebens zu sein? Vielleicht weil Autonomie und Außenseitertum für viele zwei Seiten derselben Medaille sind.

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Kein Gefängnis der Einsamkeit

In ihrer Jugend vagabundierte Mitski mit ihren Eltern durch viele Länder, ohne sich je zu Hause zu fühlen. In der Diaspora erdachte sie ein utopisches Amerika, in dessen Freiheitsversprechen sie ihre Hoffnungen legte. Angekommen im vermeintlichen Paradies, musste sie feststellen, auch hier nicht hinzupassen. Denn das Paradies ist ganz schön weiß. Mitskis Alben werden häufig gelesen als Kassiber aus dem Gefängnis ihrer Einsamkeit. „Als wären meine Songs Tagebucheinträge!“, sagt Mitski, amüsiert bis fassungslos. „Diese Idee, dass die Emotionen unkontrolliert aus mir heraus fließen, nimmt mir meine Autorität und Autonomie als Künstlerin.“ Statt als Herrin über ihr Werk, komme sie vielen wie ein leeres Gefäß vor, gefüllt mit Emotionen, die jederzeit überkochen können. Mädels halt. So empfindlich. „Ich glaube nicht, dass man das Gleiche über mich und meine Musik sagen würde, wenn ich ein Mann wäre“, sagt Mitski. „Dass man Frauen immer noch unterstellt, ihren Gefühlen derart unterworfen zu sein, beleidigt die Intelligenz.“

„Still nobody wants me.“

Dabei ist nicht zu übersehen, welche Rolle Humor in Mitskis Musik spielt. Im Video zur Single „Best American Girl“, erschienen auf ihrem Album PUBERTY 2, knutscht sie innig mit ihrer eigenen Hand. Zwei Jahre später stellt sie nun im Song „Nobody“ wehmütig fest: „Still nobody wants me.“ Eine Pop-Phrase aus dem Morrissey-Handbuch, ultradramatisch. Und völlig bedeutungslos.

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Auf Stimmdopplungseffekte hat Mitski auf BE THE COWBOY verzichtet, um einsam im Scheinwerferlicht zu strahlen wie eine Primadonna der Outlaws. Aber Achtung: Man darf die Diva auslachen. „Ich wollte mit diesem kitschigen Effekt die Dualität vermitteln, einerseits gefangen im eigenen Drama zu sein, während man zugleich reflektiert und feststellt: ,Okay, das ist ein bisschen dämlich‘“, sagt sie. „Tieftraurig zu sein, hat auch immer etwas Lächerliches, es ist egoistisch.“ Es sei eine Gnade des Älterwerdens, sein Leid zugleich ernst nehmen und sein Potenzial erkennen zu können. Was sonst noch besser wird, wenn man die schwere Jugend hinter sich gelassen hat? „Man kann sich ein Taxi leisten, wenn man eins benötigt“, sagt Mitski. Und seien wir ehrlich: Mehr, als sich einsam durch die Nacht chauffieren zu lassen, braucht’s nicht zum Cowboysein. 

BE THE COWBOY von Mitski erscheint am 17. August 2018.