Musikalische Differenzen!


Was der Pop manchmal für Fragen aufwirft. Eine der drängendsten der letzten Jahre: „Gehen“ The Darkness? Vor allem: Meinen die das ernst? Diesen Falsettgesang? Die Schillerkostüme? Diese Gitarrensoli? Gute Frage. Und wo wir schon dabei sind: Meinen die Hives das eigentlich ernst, die Nummer mit den Anzügen? Und der Typ von Interpol seine Ian-Curtis-Impersonation? Tilman „Gentleman“ Otto aus Köln mit seiner Patois-Folklore: Meint der das ernst? Und David Bowie diese Strumpfhosen damals? Und was denkt sich eigentlich Mark E. Smith? Man versteht ja kein Wort. Meint der das ernst? Sie sehen schon…

Ob der globale (nur „die Yanks“ haben’s nicht kapiert, sagt Justin Hawkins) Erfolg des Darkness-Debüts Permission To Land nur eine Faschingsgaudi war, wird sich zeigen, wenn jetzt One Way Ticket To Hell … And Back! erscheint. Dieser schamlos feist produzierte, vor lustvoller Campness (Panflöten! Sitar!) überbordende Enkel von A Night At The Opera (an den Reglern saß nicht umsonst Produzentenlegende und Queen-Mann Roy Thomas Baker).

Wir treffen die Bandköpfe, die Brüder Justin (Gesang & Exaltiertheit, Aerosmith-Shirt) und Dan (Gitarre & Ernst, kein Thin-Lizzy-Shirt mehr) Hawkins in einem Londoner Hotel. Im Nebenzimmer guckt der Ex-Roadie Richie Edwards, ein sympathischer Lulatsch, fern. Er ist der frischgebackene Bassist der Engländer, seit Frankie Poullain im März infolge von Spannungen, die der unabhängige Beobachter wohl als, mit Verlaub, Zickenkrieg bezeichnen darf, ausschied. Vielleicht ja eine Spätfolge der aufreibenden Unendlichkeitstour zum Debüt, die sie an den Rand des Zusammenbruchs geführt hatte.

interview

Als wir uns das erste mal getroffen haben, im Dezember 2003, wart ihr auf Tour und absolut fix und fertig.

Dan: Ach, wir waren ungefähr ein Jahr lang fix und fertig, von da her… Das letzte Drittel dieser Tour damals hatten wir wohl echt nicht mehr machen sollen. Aber diesmal wird das anders laufen.

Keine riesige Monster-Tour mehr?

Justin: Naja, vielleicht schon. Wir werden nur nicht mehrjede Minute für Arbeit verplanen.

Dan: Wir hatten dann das Etikett „The hardest working band“. Darauf waren wir ungefähr fünf Minuten

lang stolz. Aber geholfen hat uns das auch nichts.

Justin: Wir sind ja eigentlich faule Leute.

Dan: Wir hatten nie richtige Jobs oder so.

Und auf einmal wart ihr in der Arbeitsfolie gefangen?

Dan: Es war so „Fuck!, wir haben so lange drauf hingearbeitet, jetzt müssen wir das auch durchziehen!“ Wir haben einfach zu nichts „nein“ gesagt, sondern alles mitgemacht. Jetzt ist das anders. Ich bin jetzt bereit, auch mal ein Arsch zu sein.

Die Entstehung des neuen Albums ging streckenweise einen steinigen Weg. Eure sehr offenherzige Plattenfirmen-Bio spricht von „abgebrochenen Sessions“…

Justin: Nah, das ist Blödsinn. Da hat er Sachen fehlinterpreriert, wir ihm gesagt haben. Wir haben uns ein paar Produzenten angesehen. Es gab eine Session mit Bob Ezrin. Und wir haben Mutt Lange getroffen. Wir waren nur mit ihm essen und haben da festgestellt, dass er nicht der Richtige für uns war. „Abgebrochene Session“ ist also nicht zutreffend.

Dan: Im Grunde haben wir angefangen zu schrei…

Justin: (fällt ihm ins Wort) Aber den Bassisten haben wir rausgeschmissen. Haha!

Dan: Ja. Während der Aufnahmen.

Es heim, du seist zwischenzeitlich auch ausgestiegen, weil es zu dem Konflikt mit Frankie kam.

Justin: Nein (winkt ab). Ich mußte nicht aussteigen. Ich war halt einfach eine Zeitlang nicht viel da.

Was ist passiert?

Justin: Naja, das ist mehr persönlich …

Gab es denn „musikalische Differenzen“, wie es in der Bio steht, oder ausschließlich personliche Gründe?

Justin: Nein. Aber „“musikalische Differenzen“ schreibt man hin, wenn man nicht über die wahren Gründe reden will, (grinst) Also Schmarrn von wegen „musikalische Differenzen“?

Justin: Ja. Die musikalischen Differenzen bestehen darin, daß wir Musiker sind und er nicht. Haha!

Dan: Ich schätze, zu einem gewissen Grad hat es immer musikalische Differenzen gegeben mit Frank…

Justin: (kommt in Schwung) Das kommt daher, daß er gar nicht versteht, was Rock ist. Er ist mehr so ein … seinem Geschmack entsprechen mehr Sachen wie … (lenkt ein) Na, ich schätze mal, er soll da lieber für sich selbst reden. Aber er hätte auf jeden Fall nicht das musikalische Vokabular, zu jemandem über Rock zu sprechen. Das sind die musikalischen Differenzen. Und dann dachte er noch, ich ziehe ihn über den Tisch. Weißt du, wenn jemand ständig nur zu dir sagt (starrt irre) „Gib mir mein Geld zurück. Du hast mein Geld. Ich will mein Geld‘ , dann kann er irgendwie nicht dein Freund sein. Ich verspürte also keine Loyalität mehr ihm gegenüber. Und dann hieß es „er oder ich“.

Und das hast du auch klargemacht: Er oder ich?

Justin: Ziemlich, ja.

Dan: (besonnen): Als es zur Trennung kam, hat es mich kurzzeitig recht mitgenommen. Weil wir mitten in den Aufnahmen steckten. Aber im Nachhinein sage ich: Von da an bewegte sich endlich wieder was. Als hätten wir Anker gelichtet.

Auf den neuen Pressefotos gibt’s keine Catsuits und Engelskostüme. Ist das eine bewußte Entscheidung, wegzugehen von diesem sehr grellen Erscheinungsbild?

Justin: Ich hab letztens eine Schlagzeile gesehen:

„Schaut euch Justins abgefahrenen neuen Look an: Er trägt ein Hemd! Ich bin die einzige Person, die in die englischen Zeitungen kommt mit einem Hemd an und die Story dazu ist: Ich hatte ein Hemd an! Haha!

Dan: (um Ernst bemüht) Nun, wir sind sicher nicht dabei, uns in Coldplay zu verwandeln, aber wir entwickeln uns weiter. Wir haben da recht gute Instinkte.

Justin: Ich zieh‘ mal wieder eine Catsuit an, wer weiß.

Dan: Ich zieh vielleicht mal eine Catsuit an.

Das wäre ja mal…

Dan: (trocken) Es wäre furchtbar.

Versteht mich richtig: Ich mag die Catsuits. Sie sind halt ein rotes Tuch. Wie erkläre ich meinen skeptischen Kollegen, dass The Darkness kein „noveltyact“, kein einmal ganz lustiges, aber ansonsten nicht ernst zu nehmendes Gaudi-Ding sind? Ich weiß, die alte Leier…

Dan: Schon okay. Wir sind ja vorbereitet drauf.

Justin: Ich hätte das eh als erste Frage erwartet. Ha!

Dan: Es ist so … Leute die sich nicht wirklich mit der Band beschäftigen oder sie nicht mögen, oder vielleicht mal eine Single mögen oder mal Fotos gesehen haben, schließen eben daraus auf die ganze Band. Und dann kriegt man einen Stempel verpaßt. „Novelty act“ ist eben der, der sich das letzte Jahr über gehalten hat. Aber weißt du, das Album spricht für sich selbst.

Wir werden uns jetzt nicht einen abbrechen irgendwen zu widerlegen. Wer sich nicht genug für die Band interessiert um zu kapieren, daß wir kein novelty act sind und nie einer waren … scheißt der Hund drauf.

Justin: Ich glaube, es hat auch was damit zu tun, wie das Gedächtnis von Leuten funktioniert. Wenn du The Darkness mit Catsuits assoziierst, dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, daß du auch mal reinhörst, weil du mit dem Namen ein Bild verbindest. Wohingegen es da draußen eine Million Bands gibt, von denen kein Mensch weiß, wer zum Teufel die sind, weil sie alle die gleichen Klamotten anhaben.

Lassen wir mal einen Moment die Catsuits aus dem Spiel. Euer Sound ist halt auch sehr gegen den Strich, was gerade „cool“ ist. Die Panflöten. So Sachen. So …

Dan: Pompös vielleicht?

Ja, kunstvoll pompös, großartig. Aber…

Justin: Ich meine, in dem Moment, wo du dem Ding eine Chance gibst und über die Panflöte hinaushörst, wirst du feststellen, daß es einfach der beste treibende Rocksong ist, den es so gibt. Und dann ist da eben noch ein Sitar-Solo drin… (schwärmt) Aber die Ungläubigen! Die erste Reaktion, die ich härte, als die neue Platte lief, war: „Ah, sie sind immer noch ein novelty act. Ich dachte, sie würden jetzt seriös“.

Justin: „Immer noch ein novelty act!“ Das ist ja schon mal ein Widerspruch in sich. Novelty acts sind per definitionem Einwegartikel.

Viele haben eben erwartet, ihr würdet jetzt einen anderen Witz erzählen. Erzählen müssen.

Justin: Ich glaube nicht, daß wir in einer anderen Situation sind als irgendeine andere Band, die ein zweites Album macht, die etwas Erfolgreichem etwas folgen lassen soll. Denk an eine Band wie Coldplay. Von denen wird erwartet, daß sie den selben Witz immer wieder erzählen, (schmunzelt) Mir ist natürlich klar, daß sie keine Witze erzählen. Die selbe Geschichte. Den selben Vibe. Sie haben bestimmte Farben auf ihrer Palette und es geht darum, was sie als nächstes damit malen, (überlegt) Im Grunde ist es wie bei Jackson Pollock, so (gespieltgelangweilt) „Und? Jetzt klatscht er da drüben mal etwas Farbe hin, was?“ Wir haben halt andere Farben auf unserer Palette. Das ist es.

Apropos. Es gibt viele Bands, die „so Coldplay-mäßig sind. Aber wenige so The-Darkness-mßiige“. Warum?

Justin: Nun, ich denke, es erfordert zunächst mal ein gewisses Maß an musikalischem Handwerk, das man nicht… (zögert; er und Dan schauen sich an und lachen) Ernsthaft. Es gibt nicht so viele Leute, die Metalgitarre spielen, weil es keinen Metalgitarrenunterricht gibt. Das mußt du dir selber draufschaffen, in deinem Zimmer daheim. Das kriegst du nicht drauf, indem du im Pub rumsitzt und cool bist. Harhar!

Ist es wirklich nur Handwerk und Arbeitsethos oder…

Justin: Coolness? (lenkt ein) Na, ich würde eh nicht sagen, daß es keine Leute gab, die in unseren Fußstapfen folgten. Die gab es. Das Problem war nur, daß die sofort ausgespäht wurden, (lacht) Weil wir so abseitig sind, daß es bei allen, die uns irgendwie kopierten, sofort hieß: „Uarrgh, die nächsten Darkness‘.“ Sie wurden eliminiert, bevor man groß mitbekam, daß sie Catsuits trugen. Haha! Wenn irgendwas nur entfernt wie wir klang, wurde es einfach gnadenlos abgeschossen. Eine Schande, eigentlich. Wohingegen niemand Coldplay ausspähte. Die einfach eine Kreuzung aus Echo and The Bunnymen und Radiohead sind, wenn man mich fragt. Mehr ist da ja nicht. Und das schon seit drei Alben, (kichert) Verrückt, echt. „Ony Way Ticket To Hell“ist ein Anti-Drogen-Song. Mit einem Koks-Schnupfgeräusch am Anfang.

justin: Ja, ich weiß. Das ist wohl etwas anspruchsvoll. Manche werden das als Glorifizierung interpretieren. Aber das Problem ist, daß die Leute Drogen ja nicht ohne Grund nehmen. Es geht völlig an den Tatsachen vorbei, zu behaupten, daß Drogen keinen Spaß machen. Es muß ja einen Grund dafür geben, daß Leute sich ihr Leben so von ihnen aus der Hand nehmen lassen. Wer Drogen nimmt, hat Spaß dran -bis zu dem Punkt, wo ihm sein Leben entgleitet. In der Strophe geht’s darum, wie viel Spaß du doch hast mit dem Zeug. In der Bridge dann so „Oh Gott, mein Herz!“ und Krise! Und im Refrain: „Scheiße! Alles im Arsch!“ (lacht) Das ist die Reise, die jeder macht. Werden die Leute sich das zu Herzen nehmen ?

justin: Nein, das ist denen natürlich scheißegal. Haha! Aber unsere Fans lesen die Texte. Und wer sich damit beschäftigt, wird das schon richtig verstehen.

Ihr habt im selben Studio wie einst Queen gearbeitet.

Dan: A Night At The Opera wurde in den Rockville Studios aufgenommen. Aber das war nicht der Grund, warum wir da hin sind. Es gibt nicht mehr viele richtige Studios in Großbritannien und ich würde mal sagen, es gibt nur eines wie Rockville auf dem ganzen Planeten. Ein sehr außergewöhnlicher Ort.

Justin: Die haben zum Beispiel noch richtige Echokammern, die sie selber gebaut haben.

Dan: Viele Studios müssen zumachen, weil immer mehr Leute ihr Zeug zu Hause aufnehmen, in Projektstudios. Aber wir wollten ein großes, richtiges Studio. Rockville hatte einfach alles, was wir brauchten, um eine klassische Rockplatte zu machen. Wir haben 48 Rollen Band aufgebraucht. Keiner nimmt mehr auf Band auf. Wir haben alles auf Band gemacht, j ustin: Richtiges old-school editing. Wo das Band noch richtig geschnitten wird, physisch. DAN: Und so Sachen wie Tape Phasing. (begeistert) Auf „One Way Ticket“, vordem Mittelbreak, bevor das Sitar-Solo kommt, dieser Flange-Sound, so ein Swoooshh-Sound. Das macht man mit zwei Bandmaschinen, die parallel laufen, und dann bremst man eine ab. Eine absolute Old-School-Technik. Backto basics. (Wer’s genau wissen möchte: www.soundon sound.com/sos/janoi/articles/vintage.asp; Anm.d.Red.) Wird so viel Aufwand denn vom Hörer wertgeschätzt?

Dan: Da ist einfach ein Vibe spürbar. Und wenn du weißt, daß du etwas nicht einfach beliebig oft wiederholen kannst, spielst du auch besser.

Justin: Das hat auch viel damit zu tun wie Roy arbeitet. Der Mann ist ja eine Institution für sich.

Der Produzent von „Bohemian Rhapsody im A Night At The Opera-Studio, mit dem Klavier, auf dem Freddie Mercury spielte… Habt ihr den Queen-Vibe gespürt?

Justin: Ich glaube, ich bin nicht empfänglich für solche Vibes. Es ist ja doch nur ein Klavier, (lacht)

Dan: Klar, die Leute werden denken …

Justin: (fällt ins Wort) Der Klang von dem Ding ist fantastisch. Es ist nicht auf der Platte, weil Freddie mal drauf gespielt hat, sondern weil es ein super Klavier ist. Freddie hatte offenbar mit der Mechanik zu kämpfen. Es ist recht schwergängig. Aber für diese hüpfenden, perkussiven Sachen war es ideal. dan: Aber um deine Frage zu beantworten: Wir sind da nicht rein, so „Wow, kannst du’s fiihlen?“ und haben Fotos geschossen und so Scheiß. Weißte, (ernst) Wir sind eine hart arbeitende Rockband …

Justin: (lacht) Habt ihr euch Queen mit Paul Rodgers angeschaut?

Justin: Wir hätten Vorband spielen sollen, aber dann passierten die Terroranschläge, das Konzert wurde verschoben und dann wurde nichts mehr draus.

Ich wollte einmal Brian May Gitarre spielen sehen.

Dan: Klar. Ich bin kein Sentimentalist, aber da hin zu gehen und ihn Gitarre spielen zu sehen: fair enough. Ist schließlich Brian May. Vielleicht hätten sie nicht unbedingt als Queen rausgehen sollen. justin: (winkt ab) Sei froh, daß sie keine Platte in der Besetzung gemacht haben. Damit hätte man etwas zu kämpfen gehabt. www.thedarknessrock.com