Paulas Popwoche: Welche Stars gar nicht trauerten
Paula Irmschlers neue Kolumne über Deutungshoheit.
Leute, ist euer Kopf auch schon komplett Brei vom Kulturkampf? Faschismus, Antifa, Cancel Culture, Meinungsfreiheit, Humorgrenzen, Satirefreiheit, links und rechts und Demokratie und Gewalt und Liberalitäten, das bedeutet irgendwie alles gar nichts mehr und alles.
Was wir wissen oder nicht: Vor ziemlich kurzer Zeit wurde ein Rechtsradikaler erschossen. Seitdem sind die blödesten vorstellbaren Sachen passiert.
Stars, Politik und öffentlicher Druck
Eine deutsche Journalistin musste sich aus Social Media zurückziehen, weil sie nicht angemessen reagiert hat. Ein amerikanischer Late Nighter wurde ausgesetzt, weil er nicht angemessen reagiert hat. Alle möglichen Stars und Sternchen, ach ja und Politiker, wurden unter Druck gesetzt, Statements abzusetzen oder gaben sich dem völlig ungefragt selbst hin. Bei manchen erfand man einfach Äußerungen, …

… gestern im Bundestag schrie man sich zum Thema an, zuvor hat dein Cousin dritten Grades in seiner WhatsApp-Story um den Typen getrauert, den er bis vor zwei Wochen noch gar nicht kannte und irgendwo las ich diese Überschrift, die jetzt auch die meine ist.
Rechte bestimmen, was „angemessen“ ist
Was gerade angemessen ist, legen dabei Rechte fest: Zu diesem Mord müsse man sich verhalten, zu den allermeisten vorher, überall auf der Welt, ob durch Terrorismus oder durch den Staat organisiert, nicht. Und wenn man das feststellt, macht man Whataboutism. (Dabei machen wir alle die ganze Zeit Whataboutism und das ist auch völlig in Ordnung, wenn Debatten so zugespitzt geführt werden, kann man es eigentlich niemandem verargen, ein Licht auf permanent Unterrepräsentiertes werfen zu wollen.)
Rechte haben es aber derzeit gut verstanden, die meisten auf ihre Debattenspur zu bringen. Sie machen ein Thema so groß wie sie wollen, sowohl durch besonders krasse Takes in den klassischen Medien als auch durch Bots, die online die Stimmung anheizen.
Liberale im Fahrwasser rechter Narrative
Liberale und auch zu viele Linke fallen darauf rein und glauben die Erzählung, dass sie sich jetzt irgendwie dazu verhalten müssen. Wenn man erstmal jahrelang eine linke Übermacht herbeifantasiert hat, kann man so manche mit dem Aufruf zur „Neutralität“ oder „Ausgewogenheit“ auf seine Seite ziehen und zum Labern zwingen. Dementsprechend glaubten zu viele, sie müssten jetzt etwas zu diesem Mord sagen und ihn moralisch bewerten und zwar sofort. Man sollte sich ein virtuelles Badge aufnähen, das sofort klar macht, wo man steht.
Die Erzählung von „Gewalt auf beiden Seiten“
Zu viele glaubten außerdem, dass man wegen dieses Mordes jetzt besonders mittig tun muss, dass man eine sogenannte „Gewalt auf beiden Seiten“ verurteilen muss, die es so eigentlich gar nicht gibt, nicht in diesem Ausmaß, wie sie herbeigeschwurbelt wird. Es gibt permanente Gewalt von Menschenfeinden, Rassisten, Antisemiten, Faschisten, von Einzelnen, von Konzernen und von Staaten. Wenn man dazu Statement nach Statement abfeuern müsste, würde man nie fertig. Anfangen sollte man aber.
Wer dieser von rechts gestrickten Erzählung, dass links und rechts aber irgendwie das Gleiche sei, nicht glaubt, wer sich dieser Tage nicht dazu hinreißen ließ, an dieser Schieflage vorbeizusehen und wer auf diese auch noch hinwies, wurde an den Pranger gestellt, dessen Arbeitsplatz wackelte, der wurde mit Morddrohungen überschüttet.
Antikommunismus und Anti-Antifa in der Kultur
Antikommunismus, oder jetzt in seiner poppigeren Form Anti-Antifa, und in seiner Steigbügelhalterform „gegen jeden Extremismus“, hat an vielen Orten Geschichte, besonders aber auch in den USA. Ob in Bezug auf die „Hollywood Ten“ in den 40ern, gegen Musiker wie Pete Seeger, oder später auch gegen die Dixie Chicks, die nicht patriotisch genug waren, immer wieder sollten sich Künstler*innen vom Staat in die Spur bringen lassen.
Achtung, Filmempfehlung! „Trumbo“ mit Bryan Cranston über eben jene „Hollywood Ten“.
Besonders diese tolle Szene hier.
Kapital, Konzerne und Kulturkampf
Das Kapital hilft dabei immer gern und Konzerne wie Disney führen nur allzu gern aus, was der politisch rechte Wind gerade so vorgibt, und setzen zum Beispiel bereitwillig herrschaftskritische Comedians ab. Und Liberale, selbst wenn sie betroffen sind, machen dagegen nicht genug. So war die Comeback-Folge von Jimmy Kimmel auch eine ziemliche Enttäuschung und gab mir eher so Feigheit-Vibes.
Ja, jetzt denkt so mancher, du hast gut reden, Irmschler. Aber hat nicht eher Kimmel gut reden? Reich und sicher, kann leben wo er will, hat Plattformen und Fans, kann er sich nicht radikaler äußern, eindeutiger sein, muss er so reuevoll sein, muss er echt diesem Fähnchen-im-Wind-Konzern danken, muss er von seinen rechten Freunden schwärmen als wäre die politische Einstellung irgendeine Eigenschaft, gegen die man nichts tun kann oder ein krudes Hobby, als würde Rechtssein nicht bedeuten, dass man schlichtweg bestimmten Menschengruppen nach dem Leben trachtet?
Und wieso thematisieren gerade so viele Leute mit so viel Öffentlichkeit so wenig, wie gewaltvoll die Rechte ist, die täglich Millionen Menschen einsperrt, abschiebt, auf der Straße verhungern lässt und manche von ihnen schlichtweg abknallt? Wieso lassen sie sich so dolle auf diesen kaputten Meinungsfreiheitsdebattenquatsch ein und reden Rechten nach dem Mund? Wieso feiern sie einen Abgesang nach dem nächsten auf ihr armes Amerika, als gäbe es keine Politik, als könnte man nichts machen?
Hat Phil Ochs alles schon gesagt?
Late Night, Satire und Antifa
Vielleicht ist auch einfach von US-amerikanischen Late-Nightern nicht das Progressivste zu erwarten, warum sollte es auch? Sie sind halt Anzugheinis, die zwischen zu vielen ökonomischen Interessen zerrieben werden, sie sind Projektionsfläche und leider meistens nur eine Person (hach, zu groß wohl der Traum von einem Late-Night-Kollektiv …) Oder wie John Oliver in seiner sehr guten Folge zum Thema sagt: „… this Kimmel situation does feel like a turning point and not because comedians are important but because we are not.“
Wirklich radikal scheint derzeit tatsächlich nur noch „South Park“ zu sein …
und sowieso die Antifa. Her zu uns!
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.




