Interview

Peaches im Interview: „Ich war ständig am Kämpfen“


Wie wurde aus Merrill Beth Nisker Peaches? Die „Teaches of Peaches“-Doku geht dem nach – und wir haben weiter bei der Wahlberlinerin nachgebohrt.

Genau hinhören, aber auch was zu Gucken haben: Peaches ist seit jeher an einer umfassenden Storyline interessiert. Kein Wunder also, dass sie uns nun mit „Teaches of Peaches“ einen Dokumentarfilm über ihre Anfänge in Toronto bis hin zur Jubiläumstour zu ihrem wie der Film betitelten Debütalbum vorklatscht. So lernen wir, wie aus Merrill Beth Nisker letztlich Peaches wurde. Und wie aus einem andauernden Kampfgefühl so eine verdammt Bock machende Musik entstehen konnte. „Ich will Futter dazu“ sagt die gebürtige Kanadierin zu ihrem Live-Ansatz und eben dieser Ausgangspunkt muss auch beim Interview herhalten, um mehr über die Archivaufnahmen und ihre Karriere zu erfahren.

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Der erste Blick auf Peaches ist einer mitten in den Schritt hinein. Ihr Debütalbum-Artwork zeigte zwar auch ein bisschen Bauchnabel und Oberschenkel, aber vor allem Pink glitzernde Shorts und darunter eine einige Nuancen hellere Unterwäsche. Darüber stand genauso Hubba-Bubba-farbig Merrill Beth Niskers Artist-Name. TEACHES OF PEACHES war offiziell geboren und im gut sortierten Plattenladen erhältlich. Als sie 2000 das Werk herausbrachte, war das in einer Zeit, in der so langsam das Internet via Kabel zuhause genutzt werden konnte. Eine schnelle Verbindung zu allen Informationen der Welt war zu dem Zeitpunkt jedoch längst nicht drin. Und auch der grob als Electroclash bezeichnete Musikstil von Peaches war Anfang der Nullerjahre kein echter Mainstream. Insgesamt schien es eine große Sache für die Medien zu sein, dass man den Sound, die Lyrics und den Look der Kanadierin, die zu dem Zeitpunkt schon nach Berlin umgezogen war, nicht so recht greifen konnte. Viel googlen ging in der Phase ja kaum.

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Die wie der Erstling betitelte Doku von den Regisseur:innen Philipp Fussenegger und Judy Landkammer befasst sich nun – passend zur Jubiläumstour, die 2022 nach der Pandemie begann, auch mit eben diesem Start voller Fragezeichen. Dem Beginn voller Momente, in denen sie mit ihrer Crew in Punk-Ästhetik den Leuten vermeintlich vor den Kopf stieß, und Sex, so wie sie es in Songs anging, ein Thema war, das nicht so offen, locker und alltäglich besprochen wurde. In dem Film heißt es von Peaches an einer Stelle zur Musikkultur der 2000er: „Ich fand nicht, dass der Mainstream wirklich Mainstream ist. Er beinhaltete kein weiblich gelesenes Empowerment.“ Ein Grund mehr für Peaches, um einmal in einem größeren Kontext fürs Horizonterweitern zu sorgen. Und einfach mal Bock zu machen. Denn wofür gibt es sonst so fantastisch eingängige Hymnen wie „Fuck the Pain Away“, „Set It Off“ und „Lovertits“?!

Educational content: Was kam vor der Bühnen-Persona Peaches?

Im ME-Interview erzählt die 57-Jährige nun, auf einer Couch entspannt zurückgelehnt, mit Fell-Boots und XL-Shirt, auf dem in Strass „Slay“ prangt, dass auch sie nicht alles sofort in Gänze verinnerlichen konnte, was ihr da in der Musikwelt geschah. Ein Grund, warum sie überhaupt die Kamera in die Hand nahm und der Film nun mit jeder Menge Archivmaterial daherkommt, das sie bereitstellte. „Als ich mit dem Musikmachen anfing, war ich total überwältigt von dem, was da im Business und im täglichen Musiker:innenleben so abging. Also habe ich mich viel gefilmt, weil ich diese aufregenden Momente irgendwie festhalten wollte. Das war vor Instagram oder auch vor einer Zeit, in der man sein Handy zum Aufnehmen nutzen konnte, beziehungsweise es überhaupt die Kapazitäten dazu besaß“, erinnert sie sich. Also schnappte sie sich den Camcorder ihres Vaters und hielt drauf. Ein Freund sah sie damals live und erklärte ihr daraufhin mit Nachdruck: „Ich glaube, das führt bei dir zu etwas Größerem.“ Davon bestärkt, legte sie mit den Momentaufnahmen los, archivierte aber auch von Beginn an Fotos und Bühnenoutfits aus der Zeit.

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Besonders aufregend sind dabei die richtig frühen Aufnahmen, aus ihrer Zeit in Toronto, „das wirklich spannende Material“, wie Peaches es selbst nennt und darum bittet, dass man hier einen Spoiler-Alert platzieren solle. Denn diese Zeit würde Parts enthalten, die „ironischerweise die schockierendsten“ seien, wenn man bisher nur ihre Stage-Persona kennt. „Bevor ich Peaches wurde, hatte ich einen ganz anderen Job … Ja also, ich habe Kinder unterrichtet. Jetzt ist es raus. Aber ich wusste, dass ich das nicht mehr lange machen würde, ich wusste, dass ich nach Berlin ziehen würde. Ich war dabei, das Album fertig zu machen, und ich dachte mir: ‚Ich muss dokumentieren, dass ich das wirklich mal gemacht habe.‘ Genauso wie ich wusste, dass ich das in dem Film auch gezeigt haben möchte. Und nun sieht man mich mit den Kids und die Leute werden sich fragen: ‚Was ist da los? Wer ist diese Person?’“

„Ich habe Kinder unterrichtet“

Doch genau solche Fragen stellte sich Peaches in den Nullern auch. Das Extrovertiertsein war kein Problem, jedoch das Verarbeiten der Geschehnisse, die nach Veröffentlichung ihres Debüts auf sie zukamen. „Das Filmen half mir, ein bisschen mehr aus mir selbst herauszukommen. Weil so viel los war, dass es gut war, Dinge mithilfe von diesem Archivierungsgedanken für mich festzuhalten, um mir zu sagen: ,Das bin ich gerade alles und all das geschieht wirklich.‘ So funktioniert ja eigentlich auch Instagram. Es ist dieser komische Weg, um sich mitzuteilen, aber eben auch, um aus einem herauszuschauen und eine Perspektive darauf zu bekommen und bei all dem präsent zu sein. Das Filmen fühlte sich so an, als hätte ich einen Zeugen. Als wäre jemand da, auf den ich mich beziehen könnte. Und der mir klarmachte, dass ich nicht allein bin. Zu der Zeit hatte ich noch keinen Manager oder so. Ich tauchte überall allein auf. Auf eine Weise war die Kamera also mein Freund.“

„Sie schrieben über mich: ‚Sie ist hässlich, deshalb funktioniert ihre Musik‘“

Natürlich versuchte sie auch immer mehr ihren Freundeskreis in ihre Tourleben einzubeziehen. Fragte nach, wer Lust hätte, mit ihr zum Beispiel nach Los Angeles zu reisen, dort „Spaghetti zu essen“ und mit ihr auf der Bühne zu sein. Sie suchte Performance-Künstler:innen, die ihre Tracks bei Konzerten so begleiten konnten, dass sie ein Spektakel wurden. Der Musik „ein bisschen mehr Futter“ gaben. In dem Film finden sich so viele von diesen Augenblicken wieder, die einen verstehen lassen, warum Livemusik dermaßen wichtig ist. Eine Ausdehnung der Albumkunst, ein Vehikel zum Sau-Rauslassen-ohne-Kopf-machen und Dinge auf ein neues Level heben. Für Peaches selbst brachte das Livespielen mit Freund:innen auch die Möglichkeit mit sich, die Erlebnisse besser zu fassen und später nachhallen zu lassen. „Die Tour-Stopps wurden so besonderer und nicht alles einfach nur zu viel.“

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Wenn man sich jetzt die 102 Minuten „Teaches of Peaches“-Filmmaterial anschaut, wirkt es, als würde man auf eine Karriere zurückblicken. Ein Punkt, über den sich die Protagonistin selbst sehr wohl bewusst ist. In dem Film heißt es von ihr: „Ich wollte keine Doku machen, in der es darum geht, dass ich mal eine Karriere hatte und jetzt nur noch von Katzen umgeben bin und eine seltsame Katzenlady bin. Aber das bin ich jetzt“, worauf ein Schulterzucken von ihr folgt und sie weiter die einem Flokati ähnelnde Katze auf ihrem Schoß streichelt. Doch wofür lässt man nach all den Jahren und fünf Studioalben einen Musikfilm über sich herausbringen, wenn frühere Ideen für einen Film nicht umgesetzt wurden?

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Es ist wie die Jubiläumstour eine Feierei, ein „Ja, wir haben es gepackt!“-Gefühl, wie sie es tituliert. Erst das Durchschauen der ganzen Archivmomente führte Peaches vor Augen, wie sehr sie gekämpft hatte. „Ich war ständig am Kämpfen, weil sich alles wie ein Kampf anfühlte. In den frühen 2000ern war die queere Kultur nicht im Mainstream zu finden – also nicht im musikalischen Sinne. Deshalb wurde ich oft gefragt, ob ich eher eine Performance-Künstlerin sei oder auch ob das überhaupt echte Musik sei, was ich da mache. Die Medien konnten mich nicht so leicht verstehen, weil ich für sie keinen puren Rock’n’Roll machte, meine Haare überall hervorkamen und ich nicht klassisch schön in ihren Augen war. Ich habe durch Artikel über mich herausgefunden, dass ich hässlich war. Ich habe das selbst nicht geglaubt. Aber sie schrieben über mich: ‚Sie ist hässlich, deshalb funktioniert ihre Musik.‘ Aber das befeuerte mich nur, weil es mir sagte, dass ich etwas richtig machte. Ich musste mir das nur immer bewusst machen. Es war auch eine bewusste Entscheidung, auf dem ersten Album nicht zu singen. Denn ich bin eine Sängerin, ich kann singen. Nur wollte ich, dass alles dieses Punk-Gefühl hat und direkt alles durchsticht.“

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Peaches erzählt solche Dinge mit einer Ruhe, die darauf schließen lassen könnte, sie würde den ganzen Tag sehr viel Tee trinken und nie Zucker zu sich nehmen. Oder eben wie eine Person, die schlicht weiß, was sie erreicht hat. Als Musikerin. Als Feministin. Ja auch als Sprachrohr. Wobei: „Ich weiß, dass es da noch viel mehr zu erreichen gibt. Aber das Publikum hat bei den Jubiläumskonzerten komplett mitgemacht. Ich habe sogar eine Menge Leute nach den Shows getroffen, die meinten, dass sie mich nicht verstanden hätten, als sie mich das erste Mal live sahen, aber Jahre später es doch alles Sinn ergeben würde. Immer wenn ich so ein Feedback bekommen habe, versuchte ich das nachzuvollziehen, indem ich an diesen einen Popsong „Sex (I’m a…)“ dachte, der Ähnliches bei mir ausgelöst hat. Von der Band Berlin. Ich weiß nicht mehr, wie alt ich war, als ich den Track im Radio hörte, aber er machte was mit mir. Ich bin ausgeflippt. Er berührte mich auf eine Weise, dass es mir Angst machte. Und Jahre später fand ich ihn einfach nur noch fantastisch. Und eben wegen diesem ersten Gefühl musste ich den Song auch unbedingt covern. Tatsächlich habe ich meine Coverversion zehn Minuten bevor ich für ein Konzert auf die Bühne musste auf meiner Maschine für mich zurechtprogrammiert. Ich dachte nur: ,Ich muss das jetzt machen!‘ Ich glaube, das war in München, als ich zusammen mit Chilly Gonzales ein vierstündiges Set gespielt habe. Da hatten wir einfach beschlossen, so lange in dem Club zu spielen, bis auch die letzte Person geht. Wir wollten alle zum Rausgehen bringen, aber einfach alle blieben. Also mussten wir immer wieder mit was neu Ausgedachtem um die Ecke kommen. Das war so eine Zeit, in der die Leute einfach ewig in so einem Club abhängen konnten. Sie schliefen teils und wir weckten sie wieder auf, indem wir ihnen direkt ins Gesicht sangen und sie erst mal wieder hochschreckten.“

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Dieses Fordern juckt Peaches weiterhin. Auch im Gespräch fragt sie häufiger nach, wie denn die Doku beim Gegenüber angekommen und was einem besonders im Gedächtnis geblieben sei. Und dann erklärt Peaches, dass sie von einer guten Doku erwarten würde, „dass dadurch die Leute real werden“. Ihr neuestes Beispiel dafür: Die „The Greatest Night in Pop“-Doku über die Aufnahmen zu „We Are The World“. „Ich habe jetzt so viel mehr Respekt für Lionel Richie!“

 

Mehr Info: Passend zum 20. Jubiläum ihres 2000er Debütalbums „Teaches of Peaches“ ließ Peaches ihre Jubiläumstour losrollen – gebremst von Corona konnte sie erst 2022 richtig mit dem Zelebrieren starten. Diese Tour wurde von den Regisseur:innen Philipp Fussenegger und Judy Landkammer begleitet. Das gefilmte Material bildet nun zusammen mit jeder Menge Filmmaterial von Peaches herself die Grundlage für den ebenso betitelten Dokumentarfilm „Teaches of Peaches“, der ab dem 9. Mai im Kino läuft.