Interview

The Kills im Interview: Die Sonnenbrillen bleiben


Ein Interview über apokalyptische Vibes, Signature Moves und das Herauswagen aus der Komfortzone.

Stabile Lederjacke, Wollpulli und dazu große Sonnenbrille auf – das ist so typisch The Kills, man muss noch mal kurz aufs Handy schauen, welches Jahr wir haben, weil das britisch-amerikanische Duo einem beim Interview so herrlich zeit- und wetterlos gegenübersitzt. Alles erscheint hier möglich – ob 2003 oder eben 2024. Die Gesprächsdynamik von Alison Mosshart und Jamie Hince ist auch gar nicht mal so unähnlich zu den Anfangstagen, als sie vor zwanzig Jahren ihr Debüt KEEP ON YOUR MEAN SIDE herausbrachten. Sie fallen sich ins Wort, lachen dann mit dem Kopf im Nacken und schweigen kurz darauf beide so, dass es nicht unangenehm wirkt. Wer muss sich dafür schon in die Augen gucken? Nur für ein Foto legen sie die ab. Durch ihre Panzerglasbrillen will das Duo gleich vermitteln, dass diese Welches-Datum-haben-wir-eigentlich-Haltung absolut ihr Ding ist.

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Ab jetzt weniger Stress

Zwar würden sie mit GOD GAMES gerade ihre sechste Platte bewerben, dennoch fühlen sie sich Jahrzehnte zurückkatapultiert. Die Quasi-ABC-Schützen Mosshart und Hince testeten nämlich für ihr aktuelles Werk den Schreibprozess am Klavier – welches Hince erst einmal lernen musste. Dieser Versuch war genauso zäh zu Beginn wie gewinnbringend mit jeder neuen Berührung der Tasten. Eine weitere Konstante wie Neuerung: Paul Epworth, ein Freund und erster Tour-Soundmischer der Band, als sie noch mit einem Van von Konzert zu Konzert tuckerten, begleitete sie als Produzent (und in seinem Job schon tätig für Bloc Party, Adele, Kate Nash) beim Festhalten der zwölf Tracks auf Albumlänge. „Wir haben vorher noch nie mit einem Produzenten gearbeitet. Ich meine, wir wollten, aber es lief jedes Mal zu desaströs für weitere Schritte. Jetzt wollten wir erneut einen Versuch wagen, um mich weniger zu stressen, sodass ich mehr zum Creator werden konnte“, erklärt Hince und schüttelt gar ein bisschen ungläubig den Kopf.

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Wenn sie nun über ihr GOD GAMES sprechen, dann fällt gerne mal der Begriff der Magie. Sie reden davon, dass es kaum erklärbar und sowieso nicht zum Nachahmen gedacht wäre. Konkret heißt es dann von Hince: „Musik zu machen, ist wie zu malen – das Bild sagt dir schon, was zu tun ist. Du musst es laufen lassen.“ Und von Mosshart: „Als Künstlerin reflektierst und reagierst du auf das, was in der Welt passiert. Und dann kommen Dinge zusammen, wie zufällig, und ergeben einen Zusammenhang. Man muss nur offen dafür sein. Man muss auf diese Momente warten. Wenn du sie greifen kannst, kommt danach das nächste Warten. Auf den Zeitpunkt, um daran richtig zu arbeiten. Du musst weiterhin offen bleiben – dafür, dass sie immer mehr mutieren können. Dadurch finde ich das Reden über Songs schwierig. Die Stücke auf dem Album haben auf dem Weg so viele Wendungen mitgemacht. Was ist schon von meinem initialen Gedanken drin? Wie kriege ich den formuliert? Das sind magische, kaum beschreibbare Augenblicke, die man nicht erneut genauso kreieren kann.“

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„Wir fühlten uns wie im ‚Sims‘-Videospiel“

The Kills sind halt alte Schule. Mosshart raucht einem beim Sprechen ins Gesicht und Hince will sich nicht auf klare Aussagen festlegen, so womöglich eine Art mythische Kreatur bleiben. Und die Sonnenbrillen bleiben eben auch auf, nachdem man ihnen sagt, man würde sich selbst so komisch brillenschutzlos vor ihnen vorkommen. Like it’s 2003 all over again. Aber zum Glück schmunzeln die zwei doch des Öfteren im Gespräch, man muss sie nur etwas aus ihrem Rock’n’Roll-Checkertum herausprovozieren. Zum Beispiel mit dem Hinweis, dass man jetzt überrascht ist, wie smooth den Zynist:innen nun ein Wort wie „Gott“ über die Lippen kommen und wie gut und bedeutungsschwanger es direkt klingen würde. Hince dazu: „Aber GOD GAMES passte doch auch wirklich perfekt zur Pandemie-Zeit, findest du nicht? Bei allem, was man in den Nachrichten hörte und täglich erlebte, wollte man zum Himmel gucken und hochschreien: ‚Warum treibst du nur diese Spielchen mit uns?‘ Wir fühlten uns wie im ‚Sims‘-Videospiel – was übrigens per Definition ein ‚God Game‘ ist. Ab einem bestimmten Punkt haben wir beim Musikmachen gedacht, dass wir damit auf unsere Weise einen Gott erfinden. Das hat sich angenehm gefährlich angefühlt. Auch ein bisschen wie ‚Hunger Games‘“ – woraufhin er dann scheppernd lachen muss.

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Man merkt dem 54-Jährigen schon an, dass ihm sein Job aktuell gar nicht so schwer fällt. Ein bisschen „Verantwortung“, wie er das Produzieren nennt, nach all den Jahren als Kills-Producer abgeben und einfach nur so auf der Gitarre herumgniedeln zu können, tat ihm sichtlich gut. Seine Band wird eben auch älter und hielt sich sogar an vernünftige Schlafenszeiten. Und so gingen sie für GOD GAMES mit bereits finalisierten Tracks ins Studio und mussten nur noch das Geplante aufnehmen. Easy. „Vielleicht ist es das Alter, aber ich fühle mich frei. Ich fühle keinen Druck mehr“, untermauert er. Der Mann, der in vergangenen Interviews gerne mal das Wort an sich riss, lehnt sich nun häufiger zurück, kratzt sich den Kopf mit der ewiggleichen Kurzhaarfrisur und lässt seine heruntergezogenen Mundwinkel eher amüsiert als Merkel-mürrisch erscheinen. Es ist aufregend, zu sehen, wie Alison Mosshart Raum einnimmt und mit den dunkelgrün lackierten Fingernägeln gestikuliert. Dann möchte sie plötzlich über die Rolle der Kunst inmitten der „apokalyptischen Welt“ reden: „Alles ist gerade verstörend genug, was soll ich jetzt schon mit der Musik anderes machen, als auch ein bisschen damit verstören zu wollen? Wir müssen Dinge kreieren, um klarzukommen. Und dass wir diese Möglichkeit haben, stimmt mich euphorisch. Denn ich weiß, dass ich so überlebe.“ Um dann dazu überzugehen, wie sie sich ans Schreiben herantastet: „Das Kreieren von Songs hat viel mit Dissoziieren zu tun. Man wendet dabei Gelerntes an, aber sobald man es zu Kunst machen möchte, geht das mit einem Dissoziationsprozess einher. Einem gehört nicht mehr der Gedanke, man gibt sich so sehr in die Kunst, dass es aus einem herausgerissen wird. Und allein der Albumtitel ist die ultimative Form des Dissoziierens.“

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„Wir wussten einfach schon immer, wer wir als Band sind“

Für Hörer:innen von GOD GAMES ist keine Dissoziation sofort ersichtlich. Es ist ein Album, wie man es von der Band gewöhnt ist. Trotz des Klaviers als ersten Anlaufpunkt zieht einen doch Hinces Gitarre fordernd, kompromisslos, dröhnend-aufgeplustert durchs Werk – genauso wie Mossharts alles grillende Stimme sich niemals verwechseln lässt. Wenn sie singt, gibt es nur ihre Lyrics als Gesetz, keine Auslegungssache. Kein Wunder, dass sie sich beim Schreiben der Texte auch nicht nach ihrem Bauchgefühl richtet: „Wenn ich Songs schreibe, habe ich dazu kein konkretes Gefühl. Es sind eher Bilder oder sogar Filme, die da in meinem Inneren langziehen. Das ist auch kein linearer Prozess und kann den Kopf fast zum Explodieren bringen, aber dieses Chaos bringt mich in der Regel zum Material für ein ganzes Album. Für mich ist das der ehrlichere Prozess, als nach einer Gefühlslage zu gehen.“

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Ihren Job als Musiker:innen sehen The Kills nach wie vor darin, „schöne Dinge aus etwas Hässlichem“ wie dem Alltag zu machen. Sie sind eben eine Gruppe, die mehr auf Kontinuität als auf Veränderung setzt. Der Rest dreht sich, sie schwingen uns locker nach sieben Jahren Pause ein Album hin, das etwas zur Zeit zu sagen hat und doch kein Verfallstermin in sich trägt. Eigentlich klar, dass dann Mosshart am Ende des Interviews noch unterbringen möchte: „Ich bin auf alle unsere Alben stolz. Wir wussten einfach schon immer, wer wir als Band sind und das lässt uns so leicht in die Albumaufnahmen reingehen.“

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