Primal Scream


Großkampftag im Londoner Westen. Der Pub ist zum Bersten gefüllt, das Bier fließt und die Stimmung steigt, denn Manchester United hat gerade das Führungstor gegen Florenz geschossen. Sieht so aus. als würde es ein großer Tag für England werden. Nebenan sieht man das anders. Denn dort liegt das Hammersmith Palais, eine Großraumdisco, in der Primal Scream einen Probelauf in Sachen Straßenkampf inszenieren. Die passende Kulisse für einen Blick zurück im Zorn: auf die Thatcher-Jahre etwa, die New-Labour-Euphorie und die darauffolgende Ernüchterung. Es schien, als hätte es ihr die Sprache verschlagen, der umschmeichelten Pop-Kaste, die Tony Blair nach seinem Wahlsieg fallen ließ. Erst jetzt findet sie ihre Stimme wieder, und eine der lautesten gehört Primal Scream. Neun Leute umfasst Bobby Gillespies musikalische Miliz, die dem Publikum schonungslose Gitarrenattacken um die Ohren knallt.Musik,dieauf der körperlichen Ebene funktioniert, ebenso wie die Lightshow: Gleißende Scheinwerfer, die – aufs Publikum gerichtet ¿ die Wirkung von Blendgranaten entfalten. Soll wohl wachrütteln, ist aber hart an der Grenze zur Körperverletzung. Den „entspannten Charme eines untergehenden Polizeistaats“, wird die „Times“ am nächsten Tag der Show attestieren. Vorbei sind Primal Screams Lieb–lugeleien mit dem Manhester Rave und hippiesker Drogenseligkeit. Stattdessen shoutet ein 37-jähriger Gillespie seine Zeitdiagnosen ins Publikum: Vom Ende der Gewerkschaften ist die Rede, von der Paralysierung der Massen, von TV-Müll, der Verarmung der Mittelschicht, steter Kameraüberwachung und, Gillespies Lieblingsthema, vom Fehlen des zivilen Ungehorsams. Damit die gitarrenunterstützte Revolte nicht eintönig wird, setzen Primal Scream auch auf Funk, Soul und Ragga.Wasdem Album Vorschusslorbeeren einbrachte, nämlich die Beteiligung von House-Fex David Holmes, Dub-Croßmeister Adrian Sherwood und Kevin Shields, geht live leider nur teilweise auf. Bassist Mani Mounfield sättigt die Luft mit finsterem Dub, aber neben den Gitarren-Kakophonien der Kernmannschaft und Kevin Shields hat nur wenig Platz. Erst als die Gitarristenschar und zwei Bläser „Rocks“ anstimmen, nutzt die Menge die schon nicht mehr erhoffte Freistunde vom Klassenkampf um das zu tun, was sie schon den ganzen Abend tun wollte: tanzen.