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Rammstein live in Berlin: Mami, die älteren Kinder lassen mich nicht mit der Action-Burg spielen!


Die größte Band im Land gibt ein Konzert in der deutschen Hauptstadt und hat dafür ein neues Spielzeug mitgebracht. Bei ihrer multispektakulären Burg dürfen aber nur Rammstein auf die ganzen Knöpfe drücken. Unser Konzertkritiker findet das ein bisschen gemein und schnäuzt sich noch den letzten Ruß aus der Nase.

Professionell ist das ja nicht, gleich am Anfang dieser Konzertkritik persönlich zu werden. Aber als ich am Samstagabend auf meinem Fahrrad einmal quer durch die große Stadt trampelte, fragte ich mich nach der besonderen Motivation für meinen Besuch des Konzerts der Band Rammstein im Olympiastadion (neben dem Berichterstattungsauftrag als solches). Denn Fan war ich nie einer, nur immer wieder amüsiert und schon auch beeindruckt von den großgestischen und provokativen, vor allem visuellen Manövern der Berliner.

Und mir wurde klar: Es war der Elfjährige in mir, der da hin wollte. Der Elfjährige, der damals mit Lego und Playmobil noch nicht ganz fertig, von der superdämonischen und superspacigen US-Band Kiss aber schon angefixt worden war, sich dem Rock’n’Roll hinzugeben. Verführt von lebendigen Actionfiguren also, die mit verschiedenen Gimmick-Attributen ausgestattet waren, die sonst kein Rockmusiker hatte, und gleichzeitig mitreißenden Krach schlugen (dass deren Hits bis aus Ausnahmen fast nur bestimmte Genre-Klischees erfüllten, wusste ich damals noch nicht).

Rammstein mit aktuellem Album zurück an der deutschen Charts-Spitze

Dieser Elfjährige hatte Fotos von der neuen Rammstein-Bühne im Internet gesehen, ein so absurd großes, mehrfach getürmtes Monster-Burg-Ungetüm (mit schicken Art-déco-Zierrändern), dass es in keine Konzerthalle der Welt passt und deshalb in Berlin-Pankow unter freiem Himmel ausprobiert werden musste. Und jetzt trat dieser Mini-Me mächtig in die Pedale, nicht zuletzt, um die wesentlichste aller Elfjährigen-Fragen bezüglich Action-Spielzeug beantwortet zu bekommen: Kann man damit schießen?

Rammstein wollen nicht wie Kiss werden

Rammstein selbst wollen bloß nicht wie Kiss werden, hatten sie im Vorfeld ihrer neuen Platte kundgetan, so ’ne Make-Up-Kapelle nur mit ollen Hits von früher. Um das zu unterstreichen, haben sie gleich acht der elf Titel von RAMMSTEIN ins Abend für Abend fest in Bühne, Band und Abschusspläne programmierte Programm gepackt. Songs wie das brachial-dramatisch-alberne „Puppe“, bei der ein metallener Riesenkinderwagen samt zu verheizender Kinder-Puppe ins Rampenlicht gehievt wird, erfahren dabei eine besondere Inszenierung, um sie umgehend auf weit übertriebene Rammstein-Art zu Konzert-Höhepunkten aufzubocken.

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Gleichzeitig sind sie natürlich Kiss wie nur was – absolute Actionfiguren. Vor allem Till Lindemann – mit verschiedenformatigen Flammenwerfern und sich unter der Kannibalen-Kochmütze die Hände reibend, als lebende Raketenabschussrampe und hinten dran an dem weiße, schaumig geschlagene Ersatzflüssigkeit ins Auditorium ejakulierenden Riesenpenis. Aber auch der güldene Flake Lorenz auf der anderen, gefährlichen Seite der Flammenwerfer zappelnd und mit dem Laufband unter seinen dünnen Keyboarder-Beinen. Oder Paul Landers in seinem Mad-Max-Statisten-Kostüm, der immer so lustig über die Bühne eiert, wie ein Aufzieh-Roboter, bei dem irgendein Zahnrad klemmt. Eine maskierte Showtruppe irgendwo zwischen „Der Zauberer von Oz“, Star Wars und den versehentlich in unsere Dimension gerutschten Bösewichtern aus den sagenhaften tschechischen Kinderserien der 70er- und 80er-Jahre.

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Es liegt sicherlich an der auf langer Distanz etwas eintönig dahin bretternden Musik der (post)industrialen Bauart der 1990er-Jahre, die sich Lindemann Riff für Riff für Riff umso bockiger mit schüttelndem Kopf in seinen ledrigen Oberschenkel zu dreschen scheint, dass der innere Elfjährige in Block D sich trotzdem irgendwann nicht mehr damit zufrieden geben mag mit Beballert- und Beböllertwerden. Er möchte gerne selber mal auf die Knöpfe drücken fürs Rammstein-Logo-rauf-und-runter-fahren, alle Geheimgänge und Falltüren entdecken und mit irgendwas auf diese Zielscheiben über den Köpfen der Musiker schießen; kann doch nicht sein, dass aus denen immer nur Licht rauskommt, oder?

Als Rammstein dann doch noch etwas musikalische Abwechslung bieten – das gilt eben auch schon für das aktuelle Album –, macht es die Sache leider nicht besser. Im Balladenfach wird es sofort schmonzettig – auch wenn sie bei „Engel“ dafür extra auf ein Podest in die Stadionmitte marschieren. Und dass die Band Richard Z. Kruspe nicht mit 5:1 Stimmen untersagt hat, seinen ultimativ tranig-trancigen Remix von „Deutschland“ auf die Zigtausenden loszulassen, spricht auch nicht eben für musikalisches Urteilsvermögen – auch wenn die zugehörige Quatsch-Inszenierung mit Kruspe auf der turmhohen DJ-Kanzel und den Rest-Rammsteinlern als tanzende Neon-Strichmännchen ein Schmunzeln zieht.

Kolonialismus und Ausbeutung: Rammstein haben zu ihrem Ballermann-Song „Ausländer“ ein, natürlich, provozierendes Video gedreht

Gemeinsam mit der immer mehr Fäuste ins immer oranger und pinker, aber auch immer rußiger werdende Sonnwend-Firmament reckenden Menge, ist man dankbar und bald nicht mehr nur innerlich erhitzt darüber, dass das Sextett mit zunehmender Konzertdauer immer noch mehr Brennstoff in ihre Düsen pumpt und bei „Sonne“ und „Rammstein“ mit seinen Stichflammen beinahe den Marshmallow-Mond anröstet.

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Die wenigen jüngeren Teilnehmer der doch erstaunlich oft in Familienverbund angereisten Besuchergruppen überlegen kurz, ob sie ihre nächste Friday-For-Future-Demo vielleicht mal vor ein Rammstein-Stadion verlegen – bei dem was die bösen Buben da an Energie verschleudern und Feinstaub in die Atmosphäre pusten. Dann explodiert noch ein bisschen was, Till Lindemann spricht seine letzte und einzige, knappe Ansage an das Publikum und die dpa schickt bald schon ein Bild von einer Außenansicht des Stadions um die Welt, das aussieht, als hätten sechs größenwahnsinnige Ost-Berliner die alte Nazi-Olympia-Schüssel drüben im Westen angezündet. Kann man machen.

22.06.2019, Berlin: Dichter Rauch und Flammen steigen beim Konzert von Rammstein über dem Olympiastadion auf.

Rammstein live in Berlin 2019 – Fotos:

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Rammstein live im Berliner Olympiastadion 2019 – Videos:

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https://www.instagram.com/p/BzBnpbsFd0f/

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https://www.instagram.com/p/BzBi4_4o6vA/

Rammstein live im Berliner Olympiastadion 2019 – die Setlist:

Rammsteins neues Album RAMMSTEIN ist am 17. Mai 2019 erschienen, lest hier unsere Kritik.

Rammstein auf EUROPE STADIUM TOUR 2019 | Deutschland-Termine:

  • 27. Mai 2019 Gelsenkirchen, Veltins-Arena
  • 28. Mai 2019 Gelsenkirchen, Veltins-Arena
  • 08. Juni 2019 München, Olympiastadion
  • 12. Juni 2019 Dresden, Rudolf-Harbig-Stadion
  • 13. Juni 2019 Dresden, Rudolf-Harbig-Stadion
  • 16. Juni 2019 Rostock, Ostseestadion
  • 22. Juni 2019 Berlin, Olympiastadion
  • 02. Juli 2019 Hannover, HDI Arena
  • 13. Juli 2019 Frankfurt/Main, Commerzbank-Arena

Die weiteren Europatermine von Rammstein live 2019:

  • 01. Juni 2019 Barcelona, RCDE Stadium
  • 05. Juni 2019 Bern, Stade de Suisse
  • 19. Juni 2019 Kopenhagen, Telia Parken
  • 25. Juni 2019 Rotterdam, Feyenoord Stadium / De Kuip
  • 28. Juni 2019 Paris, La Defense Arena
  • 06. Juli 2019 Milton Keynes, Stadium MK
  • 10. Juli 2019 Brüssel, Stade Roy Baudouin
  • 16. Juli 2019 Prag, Eden Arena
  • 17. Juli 2019 Prag, Eden Arena
  • 20. Juli 2019 Luxemburg, Roeser Festival Grounds
  • 24. Juli 2019 Kattowitz, Stadion Slaski
  • 29. Juli 2019 Moskau, VTB Arena
  • 02. August 2019 St. Petersburg, St.Petersburg-Stadion
  • 06. August 2019 Riga, Lucavsala
  • 10. August 2019 Tampera, Ratina Stadion
  • 14. August 2019 Stockholm, Stockholm Stadion
  • 18. August 2019 Oslo, Ullevaal Stadion
  • 22. August 2019 Wien, Ernst-Happel-Stadion
Paul Zinken picture alliance/dpa