Actress

Honest Jon’s/Indigo

Der britische Produzent Darren Cunningham verbindet auf seinem dritten Album Tod und Techno und ist mit seinen abstrakten Soundcollagen un(an)greifbarer denn je.

Darren Cunningham, alias Actress, macht es eigentlich nicht unter einem Anwärter für das Album des Jahres. So viel Selbstbewusstsein muss erlaubt sein, weil der Produzent aus Wolverhampton hohe Berge an Erwartungen mit Leichtigkeit erklimmt. Dass solche Sätze nicht aus übermotivierten Promotexten der Plattenfirma abgeschrieben werden müssen, sondern blanke Überzeugung des Rezensenten sind, hat viel mit Cunninghams bisheriger Arbeit zu tun.

Wir erlauben uns eine kurze Rückschau: Der Brite mit Faible für avantgardistischen House à la Theo Parrish veröffentlichte 2008 mit Hazyville sein erstes Album. Er erschuf sich seine eigene kleine Welt, in der schrille und humpelnde Beats gegen eine Wand aus Nebel zu kämpfen hatten und eine unglaublich dichte Atmosphäre erzeugten. Mehr als nur ein Hit unter den „Wissenden“ war das zweite Album Splazsh, das der ewig umtriebige Damon Albarn auf seinem Label Honest Jon’s veröffentlichte, das ja eher als geschmackssicherer Dealer für Weltmusik bekannt ist. Splazsh, dieses zum Konsens beförderte Kabinettstück, tauchte in zahllosen Jahresbestenlisten 2010 auf. Far-out-Electronica, die abseits von allem operiert, was man in dieser Musik, die ohnehin losgelöst von Regeln ist, als „normal“ bezeichnen würde. Dabei blieb das Album jedoch immer mit einem Bein auf der Erde, pardon, dem Tanzboden. Nach einigen Singles auf Nonplus+ jetzt also R.I.P. Das schwierige dritte Album – nein, so fangen wir gar nicht erst an. Schwierig wird es unter Umständen für den Rezipienten, weil der sich auf ein Album wie dieses einlassen muss. Düster und bedrohlich kann ja fast jeder, möchte man meinen, aber solch eine Faszination und Neugierde für die Sounds zu wecken, für jeden unerwarteten Ton, für die absurden Einfälle, das muss man erst mal schaffen.

Da stellt sich die berechtigte Frage: Wie kommt Darren Cunningham nur auf so was? Das „so was“ ist in diesem Fall ein äußerst eindringliches Album, das sich genauso in die Gehörgänge frisst wie die beiden Vorgänger, aber auf tanzbare Momente weitestgehend verzichten will. Auch wenn bei jedem Ton unschwer zu erkennen ist, wer hier vor den Maschinen saß, so lässt sich eine kurze Verwunderung darüber nicht verkneifen, selbst wenn die im Winter vorgeschobene Rainy Dub EP eine ähnliche Richtung einschlug.

Nun sollte man vielleicht nicht überrascht sein von der Musik eines Mannes, der es wie kein Zweiter geschafft hat, Hörgewohnheiten auf den Kopf zu stellen. Die skizzenhaften Tracks brodeln in ihrer eigenen Unruhe und setzen auf den Überraschungsmoment. In ihrer leicht verstörenden Tendenz ist diese Platte längst nicht so bleischwer wie die EPs von zum Beispiel Andy Stott. Man kommt leichter hinein – wie in einen Irrgarten. Dann aber muss man sich erst einmal zurechtfinden – eine Aufgabe, die großen Spaß macht. Den Ausgang zu suchen, wird dabei eher zweitrangig.

Wir finden in dem Irrgarten unter anderem „Jardin“, ein von Störgeräuschen ummanteltes Pianostück, das klingt, als würde man eine Kindermelodie von einer völlig abgenudelten VHS abspielen; und den dumpfen Beat in „Shadows From Tartarus“, aus dessen Sägeblattwind im Sekundentakt etwas Unbekanntes ins All aufsteigt. Verwirrung im großen Stil stiften auch das vor sich hin zuckende „Serpent“ und die klagenden Nebelschwaden von „Caves Of Paradise“.

Der morbide Unterton der Platte kommt nicht von ungefähr. Vor Fertigstellung las Cunningham „Das verlorene Paradies“ des englischen Dichters und Philosophen John Milton und befasste sich mit Themen wie Tod und Religion. R.I.P darf, kann und soll auch unabhängig von all dem funktionieren, schlicht und ergreifend weil es wieder ein herausragendes Album geworden ist. Dafür sorgen nicht zuletzt auch die wunderschönen Ambientteppiche in „N E W“, bei denen zum wiederholten Male deutlich wird, was man an Cunninghams kruden Vorstellungen von Musik hat.

Key Tracks: „N E W“, „Caves Of Paradise“, „Serpent“

Story S. 12