Alles, was du brauchst, ist Musik

Seine Gesellenprüfung als Pop-Chronist machte der Brite Tony Palmer 1967 mit der Dokumentation All my loving. Gelang es ihm doch aufgrund einer losen Bekanntschaft mit John Lennon, die relativ medienscheuen Beatles erstaunlich authentisch zu porträtieren. Acht Jahre später setzte er seine Arbeit mit einem noch ambitionierteren Projekt fort-angeblich auf Anregung von Lennon hin. 17 Episoden und nahezu 15 Stunden lang präsentierte Palmer unter dem Titel All you need is LOVE(RoughTrade, 5 )eine Retrospektive auf ein Jahrhundert Kulturhistorie. Im Winter 1975/76 flimmerte der gänzlich ohne Off-Erzähler auskommende Fundus aus Interviews, Konzertmitschnitten und raren Archivfundstücken über britische Bildschirme, mit einiger Verspätung dann auch über deutsche. Interessanterweise setzt Palmer nicht erst, wie die meisten offiziellen Chroniken, auf den Baumwollfeldern im Mississippi-Delta an, sondern beginnt wesentlich früher im Sklaven-Auffanglager Westafrika. Von dort nimmt erden Zuschauer mit auf eine unglaubliche Reise, die historisch akkurat und detailverliebt aufgezeichnet ist. Akribisch durchstreift Palmer die Jahrzehnte, zeigt an exemplarischen Beispielen die Entwicklung von ritueller Stammesmusik zum kommerzialisierten Rock’n’Roll. Inklusive sämtlicher Zwischenstufen von Gospel über Ragtime und Blues bis hin zum Jazz. Dabei gelingen mitunter Schnappschüsse von intensiver Eindringlichkeit, aber auch entlarvender Tragik und unfreiwilliger Komik. Etwa wenn Schusswaffen-Fanatiker Phil Spector beim Billardspiel „Then He Kissed Me“ im unverkennbaren Dylan-Stil näselt. Oder Frank Zappa jene amüsante Anekdote erzählt, als sich amerikanische Marine-Soldaten 1966 in New York zu den Mothers Of Invention auf die Bühne verirrten. Nicht ohne ironische Untertöne das Interview mit dem auch noch heutzutage amtierenden Mogul Clive Davis, der darüber sinniert, warum die Rock-Musik wichtiger als das Kino sei; im Gegenschnitt der offensichtlich bedröhnte Who-Schlagzeuger Keith Moon. der im Studio grölend sein unsägliches Solowerk einspielt. Auf den Punkt bringt es schließlich der allzu früh verstorbene Kritiker Lester Bangs: Zynisch rechnet er mit allem ab, was seinem Purismus widerspricht. Besondere Ziele seiner Hasstiraden: Emerson, Lake& Palmer, Yes, Jethro Tull und Konsorten. Bangs verspottet weitere Rock-Ikonen, bevor er lapidar erklärt: „Wir warten auf die Renaissance.“ Die letzte Episode enthält auch einen Ausblick. Obwohl Punk zum Zeitpunkt der Produktion noch im Londoner Untergrund rumorte, ist vom zukünftigen Selbstverständnis der Jugendlichen auf der Straße die Rede, die im Do-it-yourself-Verfahren dem Rock’n’Roll eine Wiedergeburt bescheren werden. Eine Prophezeiung, die eingetreten ist.

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