Andreas Dorau – Ich bin der eine von uns beiden
Ich habe mich ernsthaft erschrocken. Nein, nicht der Wildsau wegen, die Andreas Dorau so schön umarmt auf dem Cover – aber die Ähnlichkeit, die der Künstler mit dem Schauspieler Gerd Baltus zu entwickeln beginnt, ist gespenstisch. Baltus, das traurige Knopfauge der deutschen TV-Serien der siebziger und achtziger Jahre. Zeitsprung – ungelogene acht Jahre ist es her. daß der Herr Dorau ein komplettes Album veröffentlicht hat (70 MINUTEN MUSIK UNGEKLÄRTER HERKUNFT]. Die neue CD entstand im Can-Studio zu Weilerswist, kurz bevor dieses samt Bundeswehrmatratzen ins Rock-Museum nach Gronau verbracht wurde. Den ungemasterten Bändern des Albums erging es wie der Karriere Andreas Doraus, sie gingen zwischenzeitlich verloren. Karriere? Es war mehr eine Odyssee zwischen Nord- und Südpol der populären Musik: angefangen bei der Single „Der lachende Papst“ (ZickZack, 1981) bis zur 12-Inch „Durch die Nacht“ mit Justus Köhncke für das Kompakt-Label im vergangenen Jahr. Andreas Dorau schrieb immer Lieder, die andere gerade mal fürs Kinderprogramm aufgenommen hätten („Reisen um die Welt“, „Tante aus Texas“), er hob die Poltik früh in den Stand der Unterhaltung („Demokratie, langweilig wird sie nie“). Kurz, er wagte was. Und er wagt weiter. Die „Da-da-da“-Beats in „Schwarze Furchen (in Berlin)“ werden mit einer Autoharp aus dem Country&Western-Shop nebenan gekoppelt – die Stimme, die im Alter höher geworden ist, wie er selbst sagt, muß die Marinas neidisch werden lassen. „40 Frauen mit blonden langen Haaren durchwandern die Auen – mich hätte nicht überrascht, wenn Max Goldt diesen Text geschrieben hätte. „Dies ist kein Liebeslied, denn das wäre nicht mein Fachgebiet‘ (Co-Texter Sven Regener] – dies ist ein Meta-Popsong mit Anschluß an die amtlichen Beatgemeinden. Der dünnhäutige Pop-Autor mit dem Händchen für die schwelgerischen Melodien und der Disco-Meister aus Deutschland – man kann nicht mal sagen, daß zwei Seelen in seiner Brust wohnen, andersrum wird ein Schuh draus, der Dorau haust von Anbeginn an in beiden Kunstfiguren. Auf diesem Album hat er alles zusammengeworfen, was er gerade besitzt, die Imaginationen, die törichten Gedanken, all die Neins und Keins, das. was belügt und uns ums gute Leben betrügt. Ein Spätwerk mit Kurzzusammenfassung in der 55- Spielminute unter Einsatz von Tränengas in der Disco: „Das Leben ist meist Träumerei, die Wahrheit ist eher Seiten dabei.“ Hätte man Abba mehr Moll geschenkt, wäre „Wir sind keine Freunde“ dabei entstanden. Es wird wieder ein paar Dumpfbacken geben, die Andreas Dorau der Schlagermacherei zeihen, sie haben die rührenden Töne zwischen den Zeilen, die Barockflöten im Liebeslied verpaßt. Andreas Dorau ist der einzige Sänger im deutschsprachigen Pop-Raum, der Texte wie diese ohne Gesichtsverlust singen kann: „Du bist nicht wie die anderen / hat man dir das nie gesagt?/Du bist nicht wie die anderen/und darum wirst du nicht gefragt.“
Andreas Dorau ist: eventuell nicht wie die anderen. Er ist aber auch mehr als der eine von den beiden.
VÖ: 23.5.
www.andreasdorau.de
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