Caspar Brötzmann/Page Hamilton – Zulutime
Vorsicht! Dieses akustische Kettensägenmassaker ist nichts für schwache Nerven. Lou Reed veröffentlichte Mitte der siebziger Jahre ein gänzlich unverkäufliches und kaum goutierbares Monstrum titels METAL MACHINE MUSIC. Gegen den hier vorliegenden Amoklauf zweier Preßlufthämmer im Stahlwerk nimmt sich dessen ‚Metallmaschinenmusik‘ wie ein sanftes Säuseln aus. Songstrukturen? Melodien? Harmonien? Ein wenn auch noch so schräger Beat? Fehlanzeige. Nicht bei Caspar Brötzmann und Page Hamilton. Der Sohn des deutschen Freejazz-Pioniers Peter Brötzmann reitet im Verbund mit dem hochintelligenten Helmet-Mastermind, der das Metal-Genre endlich von aufgeblasenen Axemen-Ritualen befreite, auf ZULUTIME eine brutale Attacke auf eingefahrene Hörgewohnheiten. Nur mit zwei E-Gitarren wird hier ein Noise-Gewitter entfacht, das den idealen Soundtrack für eine Inszenierung von ‚Dantes Inferno‘ auf der Venus abgäbe. Das elfminütige Titelstück zeigt die Vorgehensweise der beiden Maschinenstürmer: Während eine Gitarre ein dumpfdröhnendes Fundament weißglühenden Rauschens legt, mäandert die andere zwischen heulenden Rückkoppelungen und brachialem Stakkato. ‚Headhunter‘ klingt – man entschuldige den martialischen Vergleich wie ein Fliegerangriff, bei dem Geräuschbomben abgeworfen werden, das höhnisch betitelte ‚Hit Single‘ lärmt zunächst hart an der Hörgrenze, ehe es zur unvermeidlichen Krach-Eruption kommt. In ‚Dream Date‘ scheinen riesige Insekten mit bleiernen Flügeln einen Zeitlupentanz aufzuführen, die tiefen Töne von ‚Suburban Blight‘ lassen die Bauchdecke vibrieren, während sich durch ‚Imbiss‘ schleifende Riffs schleppen. Nur vereinzelt kann der Hörer/die Hörerin sich an Bruchstücken festklammern. Doch das Durchatmen dauert allenfalls Sekunden, dann wird dieser kurze Moment von der nächsten akustischen Flutwelle mitgerissen. ZULUTIME ist rohe, radikale Energie, und Caspar Brötzmann der Joseph Beuys der Musik. Ob man das nun als einzig adäquate Umsetzung des Chaos um uns herum betrachtet, ob sich einem hier Türen zu einem neuen Hören öffnen oder ob man sich schlicht verarscht fühlt, muß jeder selbst entscheiden. Falls man zu derlei Differenzierungen noch fähig ist, wenn man nach 48 zermürbenden Minuten restlos ausgelaugt und mit klingelnden Ohren vor seinen qualmenden Boxen liegt.
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