Chicago – Chicago VIII

Eine neue Chicago zu besprechen, heißt, sie an ihren Vorgängern zu messen, und das bedeutet ein schönes Stück Arbeit, da es sieben Stück davon gibt. Zu Nr. acht: Man hat Chicago und ihrer nächsten Konkurrenz, Blood, Sweat & Tears, oft vorgeworfen, bei der Auswahl des Repertoires unsicher und beim Spiel zu perfekt zu sein. Das bleibt berechtigter Vorwurf auch bei dieser Neuerscheinung. Neben großartigen und mitreißenden Stücken stehen Sachen, an die sich nicht mal Frank Sinatra oder Andy Williams wagen würden. So beginnt die Scheibe mit feinem Rock, wie ihn eben nur Chicago bringen können, wo sonst hört man so ein gekonntes Zusammenwirken von typischen Rockinstrumenten und Bläsersätzen, wie man sie früher nur im Jazz verwendete? Richtig in Stimmung, wartet man ungeduldig die Pausenrille zum nächsten Stück ab, – und erleidet einen Schock! Auf das schöne „Anyway You Want“ folgt „Brandnew“ mit Mantovani-Streichern, Glöckchen-Geklingel und einem Gesangspart, der in einer Revue zu Ehren käme. Zwar geht das Stück allmählich wieder in den gewohnten Chicago-Sound über, aber warum erst solche Fehlgriffe? Weil Chicago am Fließband produzieren, oder produzieren müssen, vermute ich, und so bleibt für sorgfältiges Arbeiten eben keine Zeit mehr. Man wird zwar immer wieder entschädigt durch die Fähigkeiten der einzelnen Musiker, aber was bleibt, ist dieses nervende Auf und Ab im Niveau. Es ist sonnenklar, daß man nicht laufend Hits wie „25 Or Six To Four“ liefern kann, aber um etwas mehr Ausgewogenheit sollte sich die Gruppe schon bemühen, schließlich haben sie so ziemlich die besten Musiker, die man in den USA auftreiben kann, zumindest auf ihrem Gebiet. Selbstverständlich ist auch ihr derzeitiger Hit „Harry Truman“ auf dem Album enthalten. Allerdings kann er nicht so sehr musikalisch überzeugen wie die alten Erfolge der Chicago, es ist wohl mehr der textliche Inhalt, der diesen Song in die Charts brachte. Trotz meiner Meckerei würde ich mir die Platte besorgen, einmal, weil ich alter Chicago-Fan bin, andererseits ist nur etwa die Hälfte nicht nach meinem Geschmack, die andere Hälfte der Scheibe aber ist alte Chicago-Klasse, und das ist fünf normale Rock-Platten wert.