Emily Jane White – Victorian America
Folk zwischen traditionell und „new weird“: das zweite Album der kalifornischen Singer/Sons;“Sturgeon’s Law“ behauptet, dass „90 Prozent von allem Mist“ sei. Das Gesetz des amerikanischen Science-Fiction-Autors gilt freilich nicht für zeitgenössische Singer/ Songwriter. Von denen sind nämlich 95 Prozent Mist. Warum der Folk – über 20 Jahre nach seiner Re-Etablierung als Untergrundmusik – erst „freaky“ und „new weird“ hat werden müssen, um wieder Gehör zu finden, ist leicht erklärt. Weil er fade geworden ist, weil jeder von Bergen bis Barstow, der im Besitz einer akustischen Gitarre ist, sich als „Singer/Songwriter“ und verpflichtet fühlt, die Welt an seinen Leiden teilhaben zu lassen, egal, ob er etwas zu sagen hat oder nicht. Emily Jane White – wir erinnern gerne an ihr hervorragendes Debüt DARK l’NDERCOAT von 2008 – gehört nicht zu den engen Verwandten von Devendra Banhart, aber ihre Musik umweht jene magische, dunkelgefärbte Aura, die auch die cannabisumnebelten und LSD-verseuchten Lieder des neuen, versponnenen Amerika umgibt. Dabei finden wir es schon freaky und weird genug, dass die Kalifornierin die Gabe besitzt, Songs zu schreiben, richtige Lieder mit Melodie, Arrangement und Texten voller lyrischer Kraft. Es gibt genug fusselbärtige Scharlatane, die das nicht können. Die Musik von Emily Jane White weist – ähnlich wie der Albumtitel – auf ein konservatives Verständnis von Folk hin. Oft aber verbinden sich Streicher und Pedal-Steel-Gitarre, manchmal auch ein ungewöhnlicher Rhythmus, eine seltsame Songstruktur zu einer abstrakten traditionsfernen Ambience (siehe den dekonstruierten Space-Blues „Red Serpernt“). Wer keinen Sinn für so was hat, kann fast jeden Song des Albums hernehmen (zuvörderst den Titelsong und „Frozen Heart“) und wird nicht anders können, als ihm textlich und musikalisch Klassikerqualitäten zu bescheinigen.
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