Experimentalmusik

Die zehn Keyboard-Aquarelle der neuen ROEDELIUS-Kreation AUF LEISEN SOHLEN (Sky 094) bilden zwei Stränge heraus: Tonbilder, bei denen sich verschnörkelte Girlanden in das satte Mittelstimmen-Gefüge mit Flöte-, Cello-, Harmonium und Orgel-Imitationen einschmiegen; andererseits karge, öde Minimal-Elegien – Soundtracks zum Südpolsommer mit trägem Pinguin-Aktionsradius, Windstille und ruhigem Seegang. (5) Lastende E-Piano-Figuren und minimale Leitmotiv-Konstellationen der Synthesizer – so lassen sich die STIMMUNGEN von CLUSTER (Sky 093) zusammenfassen. Hier zeigt sich aber auch die Fließband-Symptomatik der Minimal Art, wenn der ohnehin enggesteckte Rahmen nicht raffinierter ausgelotet wird. In der Kürze liegt die Würze: das kurze Zwischenspiel „Manchmal“ gibt sich wie ein neo-barockes, reichhaltiges Menu(ett). (3) Wer in kosmische Metamorphosen hineingleiten, sich in übersinnliche Trance-Zustände begeben, Zeitund Raumkategorien fallen lassen will, ohne auf Psychopharmaka zurückgreifen zu wollen, dem sei als akustisches Transportmittel die NIRVANA ROAD (Kuckuck 068) von DEUTER empfohlen. Der Tasten- und Saiten-Multiinstrumentalist arbeitet auf der achten LP ähnlich wie Kitaro und Vangelis mit der polyphonen Mathematik Bach-orientierter Harmonieabläufe, die er (bis auf Gäste an Harfe und Tabla) im sonnigen Kalifornien im Alleingang eingespielt hat. Als Liebhaber und Kritiker seiner Musik wünsche ich mir im Schwebebewußtsein dieser dahinströmenden, klangseligen, kristall- und formklaren Elektronik-Quellen der spirituellen Erhabenheit bald einen Deuter, wie er sich vor seiner Erleuchtung durch den Schlagzeilen-Guru Bhagwan auf dem Plattenteller präsentiert hat: experimentell, unüberschaubar, in der Dynamik von Gitarrenstille bis Percussion-Dröhnen, mit Hell-Dunkel-Kontrasten, lyrisch bis schwer, düster, aufreibend. (1) Limitierte Hörgewohnheiten der Links/Rechts-Kanal-Mentalität will EBERHARD SCHÖNER abbauen und zur bewußten Kunstkopf-Stereophonie anleiten. Eine Hilfe dabei sollen die langen, reinen Synthesizer-Oden an den Himmel und das Gebirge sein- SKY MUSIC/MOUNTAIN MUSIC (Kuckuck 071). Bei den Intros der zwei Werke werden Vogelstimmen verwendet – die einzige Abwechslung in den Endlos-Fluktuationen und hypnotischen Mantras, die aber dem Zielgedanken der Bewußtseinserweiterung gerecht werden, die psychologische Zeit- und Raum-Barriere und die menschliche Schwerkraft wenigstens für 45 Minuten zu überwinden. (5) Sequencer-„Wave“-Minimalismus, klassisch gebaute und originalzitierte Bach-Passagen sowie sparsamer Umgang mit innovativen Effekten: Jean Michel Jarre. Tangerine Dream (in letzter Zeit) und ähnliche Synthesizer-Werkler im Schlepptau der Pioniere können für die Elektronik-Bewegung nicht länger Atem, sondern irgendwann letzte Ölung bedeuten – wenn nicht bald mehr Risiko gewagt wird. Stark hingegen bei dieser C-60-Cassettenproduktion in limitierter Auflage SYNTHE-SIS von PETER KAMINSKI (P.O. Box 5026, D-4709 Bergkamen) die treibenden Kurzmotivketten, die wirkungsvoll den Drive der Soli vorbereiten! (4) Der farbige intellektuelle Komponist GEORGE RUSSELL begibt sich mit der weltlichen Kantate für Doppelchor, Instrumental- und Gesangssolisten, Sprecher und Orchester LISTEN TO THE SILENCE (Soul Note 1024/Vertrieb: Bellaphon Import) auf die Spuren des konzertanten Avantgarde-Jazz. Die politischen und gesellschaftskritischen Seitenhiebe, die in den Zwischentexten aus der Sicht eines wachen Amerikaners verteilt werden, erinnern an vergleichbare engagierte Textvorlagen, die der schwedische Komponist Allan Petterson alle Jahre wieder in seine expressiven Sinfonien einbaut. George Russell muß beim Kongberg Jazz Festival in Norwegen, wo dieses Stück aufgeführt wurde, an die Wirkung des berühmten Avantgardisten gedacht haben, wenn er darüber hinaus skandinavischen Top-Musikern aus dem ECM-Stall eine Geste als Mitspieler erweist: Terje Rypdal (g) und Jon Christensen (dr). Im dynamischen Wechselbad des Opus variieren gemäßigte Passagen mit melodramatisch-überchromatisch strukturierten Klangmassen . (6)