Foyer Des Arts

Die John-Peel-Session

Tapete/Indigo (VÖ: 15.7.)

Wiedergefunden: das Peel-Gastspiel des deutschen Art-Pop-Duos mit Max Goldt.

Dave Strickson, britischer Blogger, erwies der Indie-Welt einen großartigen Dienst, als er sich an die Arbeit machte, das weite Feld der Peel-Sessions zu sichten und zu ordnen. Rund 4.000 solcher Sessions gab es, einige davon sind danach offiziell auf Peels eigenem Label Strange Fruit erschienen. Gut sind sie eigentlich alle, was an zwei Gründen liegt: Erstens hat John Peel nur Acts eingeladen, die es draufhatten, zweitens übernahmen die BBC-Tontechniker den Job der Aufnahme, und hier war Qualität garantiert. Dave Stricksons Peel-Sessions-Archiv ist üppig, wer aber bislang fehlte: Foyer Des Arts.

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Nun schließt sich die Lücke, denn Tapete veröffentlicht erstmals die im Herbst 1986 eingespielte Session. Das ist nicht nur ein wunderbares, sondern auch ein unverhofftes Geschenk: Die Protagonisten glaubten, die Aufnahmen existierten gar nicht mehr. Tom Morgenstern, Spezialist für Audio-Restaurationen, hat die Bänder gefunden, aufpoliert und gemastert. Foyers Des Arts bei John Peel? Das wirkt skurril, gehorcht aber einer Logik. Deutschland besitzt ein schiefes Bild des Duos Max Goldt (heute Literat) und Gerd Pasemann.

Ein wunderbares und unverhofftes Geschenk

Es gibt da diesen Hit „Wissenswertes über Erlangen“, der auf einigen NDW-Compilations zwischen Hubert Kah und Fräulein Menke auftaucht und zu dem die beiden auf Befehl der Plattenfirma in der Hitparade von Dieter-Thomas Heck zu mimen hatten. Ein Fehler, wie Max Goldt in der „Reflektor“-Podcast-Folge zugibt, zu der ihn Jan Müller gewinnen konnte. Nicht nur war der Auftritt peinlich, auch bestimmte er das Bild der Gruppe als Ulknudel-Duo, irgendwo zwischen den Gebrüdern Blattschuss und Trio. Dass da weit mehr war, zeigte die ebenfalls auf Tapete veröffentlichte CD-Werkschau des Musikers Max Goldt, auf der man erkannte, dass Melancholie und Sinn für Melodien mindestens so bedeutsam waren wie der Humor.

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Wie aber kamen Goldt und Pasemann zu John Peel? Zum einen besaß Max Goldt eine große Affinität zu London, er hätte sich sehr gut vorstellen können, dort zu leben, erzählte er Jan Müller im Podcast. Zum anderen war John Peel großer Fan der Foyer-Des-Arts-LP UNFÄHIGKEIT ZU FRÜHSTÜCKEN, aus der er 1986 monatelang Song für Song in seiner Show spielte – vermutlich hatte er die Platte vom Label FünfUndVierzig erhalten, das 1986 auch eine Compilation von The Fall veröffentlicht hatte, Peels erklärter Lieblingsband. Als der DJ rief, folgten Goldt und Pasemann nur zu gerne.

Wissenswertes über Foyer des Arts: Warum Max Goldt und Co. die deutschen Pet Shop Boys hätten werden können

Um als Band aufzutreten, rekrutierten sie die drei Mitglieder der famosen Indie-Band The Higsons, die hervorragenden Dance-Post-Punk spielten und mit Stücken wie „Where Have All The Club-A-Go-Go’s Went Went?“ in der gleichen schrägen Liga unterwegs waren. Prägendes Mitglied der Higsons: Saxofonist und Keyboarder Terry Edwards, der später für Gallon Drunk und die Tindersticks spielte und Tribute-Platten für The Jesus & Mary Chain und The Fall an der Trompete aufnahm.

Irgendwas ist immer

Wie bei Peel üblich, kam es unter der Leitung von Produzent Dale Griffin (früher bei Mott The Hoople, die Bowie-Fan Max Goldt wegen ihrer Version  „All The Young Dudes“ toll fand) zur Aufnahme von vier Songs, darunter „Ein Haus aus den Knochen von Cary Grant“ und „Schimmliges Brot“ vom Album UNFÄHIGKEIT ZU FRÜHSTÜCKEN, sowie die Lieder „Frauen und Frieden und Freiheit“ und „Könnten Bienen fliegen“, die später als Studioaufnahmen auf der 88er-LP KUSS IN DER IRRTUMSTAVERNE landeten. Alle vier Aufnahmen zeigen Foyer Des Arts in voller Bandbesetzung, und das ist super.

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Nie kam Max Goldt seiner Vorstellung, einer Band vorzustehen, die auf den Spuren der von ihm geliebten Magazine musiziert, so nahe. Als Sänger bietet er ein großartiges Howard-Devoto- und Lloyd-Cole-Croonen, beim Hit „Ein Haus aus den Knochen von Cary Grant“ denkt man kurz, ein sensationelles Dark-Pop-Frühwerk von Bela B. abseits von Die Ärzte zu hören. „Könnten Biegen fliegen“ steht interessanterweise musikalisch auf der Schwelle zwischen The Cure und The Smiths – schon irre, dass dafür erst die Deutschen kommen mussten.

Jan Müllers „Reflektor“-Kolumne, Folge 13: Wie sich Die Ärzte zu dadaesken Meisterdichtern entwickelten

„Schimmliges Brot“ bietet als einziger Song ein wenig NDW-Schrill, wobei Harmonik, Struktur und Vortrag jegliche Hitparaden-Verwendung verhinderten. Zum Glück! Das Cover der Wiederveröffentlichung zeigt Pasemann und Goldt im Stammpub des DJs. Peel sei, erinnert sich Goldt, sehr nett gewesen und habe viele Anekdoten erzählt. Was Max Goldt heute bedauert? „Nicht einfach dageblieben zu sein und mit dieser Band weitergearbeitet zu haben.“ Berliner Sozialstrukturen und Jobs hätten das verhindert. Irgendwas ist immer.

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