Goldie – Saturnz Return
Unglaublich, aber wahr: das Neue Testament des Drum ’n‘ Bass, pardon, Breakbeat ist fertig. Wie schon bei Coldies epochalem Debüt war der Weg zur Veröffentlichung auch diesmal sehr lang. Schließlich ist Goldie ein Künstler und kein Arbeiter. Er hat die Visionen, andere müssen sie umsetzen. Coldie umgibt sich zwar mit einem ständig wachsenden Haufen an Musikern und Sängern, auch die Programmierung der Beats und Samples liegt im Wesentlichen in den Händen seines Haus-Engineers Rob Playford. Eine Verbindung, die zwar kurz vor Veröffentlichung von SATURNZ RETURN gelöst wurde, doch lange genug bestand, um 150 Minuten neuer Musik zu hinterlassen. Ja, wieder ist es eine bis zum Anschlag vollgestopfte Doppel-CD, die nichts weniger bewirken soll, als die Zukunft in die Gegenwart zu holen und die Welt verstummen zu lassen. Nicht gerade eine kleine Bürde für ein Album. Diese Anstrengung merkt man dem Material an. Goldie will alles. Der härteste sein, der wahrhaftigste, der beseelteste. Diese Kategorien sind es auch, die der große Organisator in den ersten drei Stücken der Platte exemplarisch vorführt. Den Anfang macht ein deutliches Statement. „Temper Temper“, ist ein kräftiger Tritt gegen das Schienbein all jener, die von Goldie nach der ersten Platte nur ätherischen Wohlklang erwarten, eine unglaublich aggressive Verbindung aus seinem Geschrei und der verzerrtesten Gitarre, die Noel Gallagher je gespielt hat. Natürlich hätte der Gitarrenjob von jedem halbwegs begabten Metaller verrichtet werden können, doch mußte es der König des britischen Rock sein, von dem sich Goldie huldigen läßt. Danach folgt ein schwergewichtiger Verweis auf die eigenen Wurzeln, diesmal verkörpert von Rap-Altmeister KRS-One, dem einzigen Menschen, von dem sich Goldie eine Zeile wie „UK-Drum ’n‘ Bass in the house“ gefallen läßt, ist doch schließlich der Rapper der Übervater des selbsterklärten B-Boys Goldie. Danach geht es richtig los mit dem, was Goldie als Ausdruck von urbanem Soul festschreibt, mit „I’ll Be There For You“, einem wunderschönen Gesangs-Stück. In dessen leichtfüßigem Groove zeigt sich, wie wenig Verbindlichkeit der holpernde Rhythmus heute noch für die in Goldie verkörperte Breakbeat-Szene hat, auch wenn scharfkantige Beats und elektronische Finsternis folgen. Und das ist noch lange nicht alles. Denn schließlich gibt es ja noch eine zweite CD. Dort thront ehrfurchtgebietend des Albums monumentales Herzstück, ein 62minütiges Monstrum namens „Mother“. Das Epos, mit dem Goldie den Rekord für den längsten je auf einer Pop-Platte veröffentlichten Song sein eigen nennen darf, ist des Meisters Angriff auf das letzte im Breakbeat-Sinne jungfäuliche Terrain, die Welt der modernen Klassik. Und Respekt: wie er Streicherkaskaden in Rhythmus überführt und sich ohne Schönfärberei wieder davon macht, ist faszinierend. Für alle, die sich durch das Stück gekämpft haben, gibt’s am Ende die Belohnung: ein verstecktes Stück gesungener Melancholie mit David Bowie am Mikro. Ein groß(spurig)er und verwirrender Abschluß einer ebensolchen Platte.
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