Grenzmusik

Ein Rezensent nannte die Musik des Percussionspielers Kip Hanrahan „eine der schönsten und unnötigsten, die ich bisher kennenlernen durfte“.

Das war wohl nicht nur Koketterie.

1981 erschien Coup De Tete- ein von Latin-Getrommel vorangetriebenes Provisorium unter Mitwirkung von Prominenz aus der Material-Ecke. (3)Zwei Jahre später steckten inder Hülle für Desire Develops An Edge eine LP und eine EP von überraschender Vielfalt: Balladen, Jazz-Rock-Salsa-Bossa, Musiker aus Haiti und Cuba – und als Sänger/Bassist ein faszinierender Jack Bruce. (4) Hanrahans jüngster Streich Verticales Currency ist ein intelligentpoetisches Meisterwerk. Die vergleichsweise eingängigen Songs reichen von authentischem Salsa mit sattem Bläser-Satz bis zu langsamen Bravourstücken für Jack Bruce. (5). Dem Teldec Import Service ist es zu verdanken, daß die (auffällig teuren) Platten des „American Clave“-Labels seit 1985 auch hierzulande erhältlich sind.

Yusef Lateef In Nigeria: Der Jazzmusiker betrieb dort kulturelle Studien – und nahm eine gänzlich unakademische Platte auf. Seine ruhigen Sax/Flötenmelodien stehen in produktivem Kontrast zu den Rhythmen afrikanischer Trommler (Landmark, 4).

Härtere Ethno-Kost bietet das Doppelalbum Invite The Spirit (Celluloid): freie Improvisationen auf der Basis koreanischer Musik, deren Tempomaß nicht ein am Herzschlag orientierter „beat“ ist, sondern der fließende Atem. Sang-Won Park (Gesang, koreanische Zither und Bambusquerflöte), mit dem schon Laurie Anderson gerne arbeitete, spielt mit dem Avantgarde-Gitarristen Henry Kaiser und Schlagzeuger Charles K. Noyes befremdliche Klänge, zu denen auch die Rhythmen keinen unmittelbaren Zugang schaffen, (für Aufgeschlossene: 4) Um Grade höhnischer als die „Dissidenten“ treibt der Exil-Ungar Gabor G. Kristof seine Discofunk-Spielchen mit arabischer Musik. Auf der A-Seite des Mini-Albums Rapture In Bagdad singt die Iranerin Nadjma Piepsig-Kindliches zum Keyboard-Pop des Wilderers. Die B-Seite: ein kalter Triumph der Remix-Techniken des Dub-Spezialisten Adrian Sherwood. (CRAM/EfA, 3) Aus der Schweiz stammt das Duo Concise. Sein Debüt erweist sich als gelungene Technopop-Attacke, experimentell nicht nur bei der Wahl der Waffen, sondern auch im Umgang damit. (Milan, 4) Die Kölner Szene um Dunkelziffer, Unknown Cases etc. führt auf dem Stollwerk-Sampler vor, daß hier fast jeder mit jedem aus Überzeugung zusammenspielt: vielfältige „Trance-Musiken“, die sich einen Dreck drum scheren, was gerade angesagt ist, ohne deshalb groß in Konflikt mit dem Zeitgeist zu geraten. (45/EfA. 4) Lovin‘ Is Easy behaupten augenzwinkernd die zwei (!) Drei Eier aus Niederbayern. Was die Herren sich zwischen Posaunenchor, Two-Tone, Kinderlied. Beat und Bossa, Geschrei und Spiel mit Treudeutschem einfallen ließen, ist ähnlich respektlos-liebevoll wie Haindlings Stilles Potpurri – also um vieles abwechslungsreicher als der Nachfolger – allerdings in Hochdeutsch und krassem Gymnasiasten-Englisch abgefaßt, (knapp: 5) Auf neue Gitarren-Bands bin ich trauriger Erfahrungen halber gespannt wie ein Zugschaffner auf den Fahrplan. Aber die deutschen Short Romans sind erstens seit 37 GUITARS nicht mehr ganz neu und schreiben zweitens runde Songs, die – angenehm intoniert – alle Aversionen hinwegfegen: zumindest auf der Maxi-Single 4 Tunes Of War (JAI/SPV, 5).

DIE Saxuelle Befreiung proben sechs Instrumentalisten der Kölner Saxophon Mafia mit komplexen Arrangements (Jazz Haus Musik). Auch die improvisierten Teile stehen der modernen E-Musik nahe, so daß der Rockfreak die Mafia vorsichtshalber beim Wort nehmen wird: zahlen, wenn sie ihn in Ruhe läßt, (knapp: 4) Und was passiert, wenn ein sonst strikt der modernen Klassik verpflichtetes Kronos Quartett eine bis in die Impros durcharrangierte Monk Suite auf Geige und Cello erklingen läßt? Obwohl der gute Thelonious als Komponist kaum kleinzukriegen ist, und die Harmonien im Streichersatz an Deutlichkeit gewinnen, kann auch Gast-Bassist Ron Carter den Rhythmus nicht vor zickigem Konzertsaal-Swing bewahren. (Landmark, 2)