Ideal
Ideal
Vergessen wir gleich mal wieder das für Ideal mißbrauchte Klischee New Wave. IDEAL (die LP) ist eine neue Folge der (gerade erst angelaufenen) Serie Auch-in-Deutschland-gib's-moderne-Tanzmusik; vergleiche (nicht stilistisch, noch inhaltlich, nur stimmungsmäßig) mit Fehlfarben und Fred Banana Combo, letztere (leider) englischsprachig.
Gut, die Platte ist nichts für Chef-Ideologen. Das sei gleich vorangestellt. Manch einem mag nämlich sauer aufstoßen, daß sich hier eine Band (bewußt?) trendy gibt, und vermutet grenzenlose Geldgier und Snobismus als Motivation der Gruppenmitglieder Annette H. (Gesang und Tasten), Eff Jott Krüger (Gitarren und Gesang), Ulli Deuker(Bass und Gesang) und Hans Behrendt (Schlagzeug und Gesang). Andere mögen der Frau und den drei Herren ein gutgemeintes Schuster-bleib-bei-deinen-Leisten zurufen, weil sie etwas von der Jazz-Rock-Vergangenheit eines Musikers beim Release Music Orchestra gehört haben und zudem wissen, daß Drummer Hansi noch offiziell Mitglied bei Volker Kriegcls Mild Maniac Orchestra ist. Nun: sollen wir jetzt alle in den Chorus einfallen und laut Verrat schreien??? Buttshit!, um einmal ein treudeutsches Wort zu gebrauchen. Ich empfinde es eher als Wohltat und einen starken Schritt der Musiker, den (ach so kulturellen) Background zu verleugnen und – sozusagen – unter Niveau zu spielen, was nichts weiter heißt, als unter der eigenen Leistungsgrenze. Zugunsten von einer in deutschen Landen selten gehörten Lockerheil übrigens. Herübergerettet (von der einen zur anderen Spielart) haben sie indes ihre Professionalitat, die glücklicherweise nie zum Selbstzweck wird. Alles in allem bestätigen sie einmal mehr die Weisheit: Weniger ist mehr!
Ein paar Worte zum Sound: eigentlich ist die Ideal-Musik eine Triomusik. Die Tasten werden eher sporadisch eingesetzt, mal als reine Soundgimmicks, teilweise als klangliche Erweiterung. Es sind Fragmente, Melodiefetzen, die hier vom Synthie, vom Klavier eingestreut werden. Zusätzliche Überraschungseffekte, mal im Sirenenklang („Rote Liebe“), mal als Piano-Fingerübung („Blaue Augen“). Dem stehen scharfe, markante Gitarrenlicks gegenüber, auf einem Baß/Schlagzeug-Rhythmus übrigens, der nur oberflächlich straight und unkompliziert erscheint, nicht selten aber verspielt, gar vertrackt ist, dem aber immer Leichtigkeit anhaftet. Tanzcharakter eben. Da gibt es zudem einige schräge, verschrobene Momente. Parodistische (‚Hundsgemein‘). „Da leg ich mich doch lieber hin“ ist eine Ska-Nummer mit Heavy-Refrain und Hall- und Echospielereien. Einer von drei Titeln, den Annette gesanglich einem der Männer überläßt, die dann so cool wie Stingl-Kiev klingen. Annette Humpe’s Gesang erinnert den einen an Nina Hagen, den anderen an die Anette von Hansaplast. Bei mir schleichen sich Bilder von Toyah und Lene Lovich ein, wenn ich mir die Stücke visuell umgesetzt vorstelle. Ja, der Gesang hat etwas Stereotypes, ist dennoch sehr reizvoll („irre“, „Luxus“), paßt sich der Thematik an. Bedrohlich wird die Stimmung eigentlich nur einmal, aber eher auf komische Weise: „Telepathie“ mit seinem Stöhnen, fernen Schreien: „Unsichtbar bin ich dir nah!“ Am besten gefällt noch das Tagesthemen- und Heute-erprobte „Berlin“, die neue Hymne der Wall-City.