Love :: Regie: Gaspar Noé, Argentinien 2015

Orgiastisches Körperkino in 3D: Der Film des Argentiniers Gaspar Noé ist mehr Provokation als Porno.

Zeit zerstört alles. Das ist das Credo des Kinos, das der Argentinier Gaspar Noé mit einer Radikalität und Konsequenz zelebriert wie kein anderer Filmemacher – das Kino des Körpers. In „Irreversibel“, seinem bekanntesten Film, zwang er den Zuschauer, ohne Schnitt acht Minuten lang einer Vergewaltigung zuzusehen. In „Enter The Void“ zeigte er auf dem Höhepunkt einer buchstäblichen entfesselten Höllen- und Himmelsfahrt aus dem Inneren einer Vagina, wie ein Penis ejakuliert. Wenn dieser Mann nun also einen Film androht, in 3D noch dazu, der „Love“ heißt, dann schreckt man unweigerlich zurück: Welche Unaussprechlichkeiten könnten einen in einem solchen Werk erwarten?

Eine Menge, wie sich zeigt. Und vor allem eine Menge mehr, als man es nach der ersten Szene erwarten würde, in der sich Noé, ganz agent provocateur, nicht lumpen lässt: Der junge Amerikaner Murphy und seine französische Freundin bringen sich in inniger Umarmung zum Höhepunkt. In Noé-Style ungeschnitten, bis zum Cumshot.

Alles klar. Es dreht sich eben nicht um die Art von Liebe, die den Himmel voller Geigen hängen lässt. Liebe bei Noé, das ist die Leidenschaft des Moments, die orgiastische Vereinigung beim Sex – wahlweise in dunklen Ecken schwitziger Clubs oder in Zimmern, an deren Wände Plakate von Kubrick- und Scorsese-Filmen hängen. Noés Bilder schreien, dass es schmerzt. Provo nicht Porno. Noé will nicht aufheizen, wenn er Geschlechtsteile zeigt. Das Kino ist sein Beichtstuhl. Und seine Beichte ist eingebettet in eine Reise ans Ende der Nacht, in die sich seine Hauptfigur stürzt, um eine verlorene Flamme zu suchen und sich selbst zu finden.

Dieses Kino des Körpers ist bisweilen von entwaffnender Schlichtheit: Die Story ist mau, die Schauspieler trotz vollen Körpereinsatzes zum Brüllen schlecht. Und doch kann man die Augen nicht abwenden, weil der Film so erschütternd aufrichtig ist: Jeder neue Sexualakt, jede neue Grenzüberschreitung, jede neue Zumutung ist ein neues Halleluja, weil der Regisseur an die Heilkraft des Vögelns ebenso glaubt wie an die befreiende Wirkung flimmernder Bilder auf der großen Leinwand.

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mit Karl Glusman, Aomi Muyock, Klara Kristin