Marius Müller- Westernhagen – Lausige Zeiten

Lausige Zeiten, sagt man, fördern die Sehnsucht nach Ästhetizismus. Wenn das wahr ist, hätte Marius ein nettes, fröhliches, abgekantetes Album abliefern müssen. Hat er nicht. Eins zu Null für ihn.

Andererseits ist er auch nicht dazu übergegangen, die spürbare Fin de siecle-Stimmung zu stilisieren. Er tut nur, was er immer getan hat: Rauslassen, was vorher reingekommen ist. Und auch beim zehnten Mal bleibt er, wie er immer war: frech und böse und provokant. Kein schaler Cowboy-Mythos a la Maffay, kein Herz contra Hirn-Dualismus im Kunze-Stil — nein, Marius ist ein waschechter Rock ’n‘ Roller, der statt Pfefferminz längst die Faust in der Tasche hat.

Musikalisch ist LAUSIGE ZEITEN die konsequente Ausformung von DIE SONNE SO ROT: monotone Maschinenbeats, spröde Gitarren, schlagzeilenartige Texte. Da ist wenig Versöhnliches, kein vordergründiges „Prinzip Hoffnung“, nichts, was uns einlullt —- nur die nackte, kalte Wahrheit: „Jeder hätte gern an was geglaubt/jeder sucht das Glück, das keiner klaut“.

LAUSIGE ZEITEN handelt von unserer inneren Vergletscherung, von der Desillusion im Deutschland nach der Wende: „Lausige Zeiten sagte mein Boß/Lausige Zeiten. arbeitslosssss …“ Kälte durchstreift das Album wie eine schleichende Krankheit.

Marius —- wie immer von Lothar Meid als Produzent und Computerfachmann unterstützt -— hat sich selbst von seiner neuen Rolle als Vater nicht korrumpieren lassen. Liebliche Melodien werden von gewalttätigen Rhythmen niedergewalzt, seltsame Flötentöne konkurrieren mit Free Jazz-ähnlichen Klangfiguren, Kahlschlag überall, Gefühl und Härte.