Mark Simpson :: Saint Morrissey
Moriturus te salutat - Götter erkennt man an ihren Jüngern und Biographen!
Was ist das Geheimnis? Freilich: die Musik, die Texte, die Stimme, die Attitüde Punkt. Aber Musik und Texte schreiben andere auch, gute Stimmen gibt es wie Sand, na ja, nicht gerade am Meer, aber doch immerhin in den, ähem, Schuhen. Und eine Attitüde haben notfalls wahrscheinlich sogar die Vines, wenn man lange genug fragt. Also: was? Alles halt am Ende, vermute ich, und da man alles nicht hineinkriegt in ein Buch von 222 Seiten, kann dieses Buch doch nur ein Reinfall sein, oder? Ist es nicht. Das hat mehrere Gründe. Morrissey hat selber mal ein Buch geschrieben, bevor er seinen Zweitberuf Superstar ausüben durfte, über die New York Dolls, deren glühender Fan er war (Erstberuf). Oder sagen wir: ein Büchlein, denn es ist kaum dicker als ein Morrissey-Album (Vinyl-Ausgabe); und doch steht mehr drin als in sämtlichen Musiklexika-Einträgen über die Dolls zusammen. Vielleicht ist das das Geheimnis: in das Leben und die Kunst eines Menschen mehr hineinzulesen, als eigentlich drin ist, und dann noch mehr herauslesen zu können? Auch wieder nur zum Teil, denn man muss vor allem das wird bei Musikbüchern gerne Übergängen! schreiben! erzählen! formulieren! mit Sprache umgehen! und denken/assoziieren können. Mark Simpson. „Skinhead-Oscar-Wilde“, ehemaliger Ausreißer, Schiffsjunge, Ordner, Foto-Lovestory-Darsteller, eigener Angabe zufolge „unemployable“ geistiger Vater der Metrosexuals“ und Autor gefeierter Bücher über die homosexuelle (Pop-)Kultur, kann das wie kaum ein anderer. Er hat außerdem einen ziemlich großartigen, zynischen, britischen Witz und keinerlei Hemmung, in Schwärmerei, Anbetung, Spott und Gehässigkeit abzugleiten. Das fängt beim Titel an: Der ist unverschämt und zugleich ein chicer Kunstgriff, denn wenn ein Spießer, der sich zufällig in das Buch hineinverirrt, danach anprangern zu müssen glaubt, es handle sich um schamlose Beweihräucherung was nicht wahr ist, was aber z. B. Aerosmith-Fans sicherlich behaupten täten), kann Simpson lächelnd auf den Umschlag verweisen: Ja logisch! Da steht’s doch, Depp! Und es ist wohl auch am gescheitesten und treffendsten, sich einem Star, der im Hauptberuf Fan ist, aus der Position eines Autors zu nähern, der schreiben kann wie eine gesengte Sau, darum selbst ein Star und trotzdem ebenfalls im Hauptberuf Fan ist. Der Ansatz ist das ziemliche Gegenteil von dem Johnny Rogans in „Morrissey & Marr: The Severed Alliance“: Simpson versucht nicht, Morrisseys Musik und Texte über eine Nacherzählung seines Lebens zu erklären, sondern er benützt die Songs als Schlüssel zum Menschen. Und zu seiner Welt/Umgebung, zeitlich/räumlich/politisch/sozial/persönlich. Resultat: ein in jeder Hinsicht erstaunliches, fesselndes Buch, das weit über sein „Thema“ und Genre hinausragt. Und soviel noch zum Geheimnis: Die Größe von Stars erweist sich (auch) an Ihren Verehrern und dem, was über sie geschrieben wird. (Nicht nur) in dieser Hinsicht steht Morrissey ziemlich gut da.
Mehr News und Stories