Jubiläumsausgabe eines Soul-Meilensteins: Marvin Gayes musikalische Visionen von einer besseren Welt

Soul, Jazz und Funk statt biederer Motown-Formel, Mund aufmachen statt kuschen: Für Marvin Gaye geriet das Jahr 1971 zum privaten, künstlerischen wie beruflichen Wendepunkt. Lange genug war er brav sämtlichen Anweisungen gefolgt, die ihm sein Schwiegervater und Boss, Motown-Gründer Berry Gordy, diktatorisch seit Karrierebeginn Anfang der 60er-Jahre auferlegte. Nach dem plötzlichen Tod seiner zeitweiligen Duettpartnerin Tammi Terrell wurde dem zu Depressionen neigenden Marvin Gaye bewusst, dass er mit seinem nächsten Album endlich Musik mit aussagekräftigen Texten machen wollte – doch die hatte Gordy ihm streng untersagt: What’s Going On entstand in nur zehn Tagen mit The Funk Brothers, dem Detroit Symphony Orchestra und Arrangeur David Van DePitte und enthielt Sprengstoff für die Motown-Gemeinde, deren auf Charts getrimmte Hits verächtlich als Lametta-Soul bezeichnet wurden. Es kam wie es kommen musste: Berry Gordy stellte sich quer, versuchte die Veröffentlichung der Single „What’s Going On“ wegen brisanter politischer Inhalte zu stoppen. Doch der damals 32 Jahre alte Gaye, der 1984 vom eigenen Vater nach einem Disput erschossen wurde, setzte sich durch mit seinen Reflexionen zur Situation der Schwarzen in den Ghettos, rassistischen Polizeiübergriffen, politischen Demonstrationen, der Teilnahme der USA am Vietnamkrieg und gesellschaftlichen Veränderungen: Das Konzeptwerk platzierte sich auf Rang sechs der Billboard-Album-Charts. Drei der insgesamt neun Songs, „Mercy, Mercy Me“, „Inner City Blues“ und der Titelsong, behaupteten sich in den US-Pop-Top-Ten und wurden im Lauf der Jahrzehnte zu Evergreens. Zum runden Jubiläum wird der Meilenstein in der 40th Anniversary Edition im 12Inch-Format mit einer Vinyl-LP im ursprünglichem „Detroit Mix“ sowie zwei CDs mit 28 Bonustracks, 16 davon bislang unveröffentlicht, in angemessener Form aufgelegt.