Mutter

Der Traum vom Anderssein

Die eigene Gesellschaft/Hanseplatte

Erstaunlich variable und lebendige Drone- und Noise-Musik, die der Väter Blues der Lüge überführt.

„Die deutschen Swans!“ Klingt nicht schlecht, oder? Läuft aber der stichhaltigen Annahme entgegen, dass diese seit 1986 Furchen ziehende Berliner Band absolut einzigartig ist. Mutter sind ihre eigene Mutter. Ihr Sound speist sich dennoch bis heute vor allem aus dem Noise und dem No Wave der 80er-Jahre. Eben wie bei den Swans. Doch während deren Sonorprediger Michael Gira sich laufend seiner Rolle mindestens mal als Götterbote versichert, ist Mutter-Texter und -Sänger Max Müller sterblich wie nur was. Verweigert die Pose und verneint die Poesie. Straight outta Quälgeist.

Dass der Rhythmus der Musik und der Rhythmus der Worte in gegenseitiger Reibung trotzdem Liedpoesie formen, weiß er natürlich auch. Rhythmus ist insgesamt ein wichtiger Begriff für die Beschreibung von Mutters elftem Studioalbum. Obwohl DER TRAUM VOM ANDERSSEIN auch wieder ganz schön dronet, gelingen der Platte doch ganz erstaunliche Bewegungen. „Glauben nicht wissen“ kracht in einem lärmumtosten Krautbeat durch jedes Hindernis, mit flankierender Dauerorgel, unter zunehmenden Feedbackschmerzen, plärrender Müller. In „Geh“, in dem Gesangs-Echos für Chaos sorgen, boogiet ein sehr schwerer Glam-Groove mit analogen Handclaps. Ein aufmüpfiges Klavier verführt das brachiale „Glorie“ zu einer Hook, die man sich einfach nicht erklären kann. Und aus dem Schaben vom finalen, zu einer noch einmal ungeahnt langen Reise antretenden „Kravmann“ schält sich ein gewaltiger Beat, der umkränzt von Akustikgitarren tatsächlich sehr nach Swans klingt.

Doch würde sich Gira wie Müller auch in einem Autotune-Delirium winden? Und was singt er da: „Will ich Gott sein?“ Auf gar keinen Fall! Auch wenn man die eine Hälfte der Texte noisebedingt nicht versteht und auf die andere sich eigene Reime machen muss, in denen Fragen zu neuen Fragen führen, so oder so kann die Kern-Warnung wieder nur lauten: Lässt du dich auf Mutter ein, brauchen dir all deine Väter erst mal nichts mehr erzählen. Vom Blues oder so.

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