New York Dolls – All Dolled Up

Die tragische Bandhistorie der New York Dolls fand im Jahr 2004 zumindest ein Teil-Happy-End. Unter der Ägide ihres manischen Fans Morrissey vereinten sich nach 29 Jahren die letzten drei Überlebenden zu einem One-Off-Auftritt beim alljährlichen Londoner Meltdown Festival. Sänger David Johansen, Gitarrist Sylvain Sylvain und der zwei Wochen nachdem überraschenden Comeback an Leukämie verstorbene Bassist Arthur Harold Kane schalteten nach einem frenetisch gefeierten und ausverkauften Gastspiel in der Royal Festival Hall doch noch auf Dauer-Reunion und legten 2006gareine richtig formidable Studioproduktion vor. Da lassen holprig zusammengeschusterte Dokus in DVD-Form nicht lange auf sich warten. Doch All Dolled Up ist nicht einer dieser unsäglichen Schnellschüsse. Auf satten 230 Minuten breiten keine selbsternannten Kennerund neunmalklugen Spezialisten ihre schmalen Erkenntnisse aus, sondern tatsächlich Augenzeugen der frühen Stunde mit erstaunlichen, bislang unveröffentlichen Aufnahmen. Etwa Sänger Dick Manitoba, selbst Mitglied der Kultband The Dictators, mit unbezahlbaren Anekdoten zwischen Ironie und Sarkasmus. Noch imposanter präsentiert sich Fotograf und Filmemacher Bob Gruen samt Ehegattin. Hielt das einst auch mit John und Yoko befreundete Pärchen doch auf damals unvorstellbar kostspieligem Video-Equipment die frühen Dolls der Jahre 1972 bis 75 in bewegten Bildern fest – zumindest in Schwarzweiß. Gestellt hatten übrigens die Lennons die hochempfindliche Anlage. Aus 40 Stunden Material reihen sich überwiegend Konzert-Mitschnitte in New Yorker Nachteulen-Szenetreffs wie Kenny’s Castaways und Max’s Kansas City aneinander Aber auch abenteuerliche Backstage-Szenarios in der Garderobe des Whiskey A Go-Go in Los Angeles, ungewöhnliche Privat-Impressionen im gemeinsamen WG-Loft oder Rund-um-die-Uhr-Exzesse im Bandbus, Zug oder Flieger auf ellenlangen Tourneen untermauernden noch immer ungebrochenen Nimbus einer zu Recht in den Popannalen als „Ikonen“ geführten Formation. Zur Legendbildung trug schließlich nicht nur das grellbunte Transvestiten-Image bei. sondern auch der unterselten tragischen Umständen auf der ersten England-Tour 1972 ums Leben gekommen Ur-Schlagzeuger Billy Murcia. Oder aber die allzu frühen Abgänge von Gitarrist Johnny Thunders und Schlagzeuger Jerry Nolan. Auch dürfen Sex-Pistols-Initiator Malcolm McLarens zumindest zeitweise Dienste als Manager nicht unterschätzt werden. Zudem gilt das nach einer New Yorker Puppenklinik benannte Quintett als definitiver Punk-Urknall, aberebenso auch als Patenthalter der 80er-Haarspray-Fraktion um Mötley Crüe, Poison, Hanoi Rocks und Guns’N’Roses. Ähnlich wie bei ihren Kollegen The Velvet Underground und The Stooges wurden die Dolls erst lange Jahre nach ihrer Trennung glorifiziert. Doch vollführten sie nicht nur einen glamourös-selbstzerstörerischen Lifestyle wie Minimaltalent Pete Doherty, sondern spielten auch prima Punk’n’Roll, wie zwölf komplette Songs eindrucksvoll unterstreichen. Oder wie es Sylvain Sylvain auf den Punkt bringt: „Die New York Dolls, das war Halloween. 365 Tage im Jahr.“

www.nydolls.org/