Oldies

Er ist in zweierlei Hinsicht Vertreter der Spitzenklasse: Als Besitzer einer scheinbar unzerstörbaren Leber, die auch die sagenhaftesten Schluck-Exzesse überstanden hat — und als Besitzer von Stimmbändern, die ihn zum womöglich intensivsten aller weißen Bluessänger gemacht haben. Die Rede ist von Joe Cocker.

Drei seiner mittsiebziger LPs für das Cube-Label sind bei Teldec erneut veröffentlicht worden: I CAN STAND A LITTLE RAIN (6.26244), Joes wohl deprimierendste Songkollektion, die labile Naturen in Suizidgefahr bringt (6). JAMAICA SAY YOU WILL (6.26243) mit für seine Verhältnisse gefällig-pop-souligen Songs (4) und SPACE CAPTAIN (6.26242), eine Live-Präsentation seiner bis dahin größten Hits (erstaunlich, daß „With a little Help…“fehlt)(4).

Bei WEA ist die große Aufräumwut ausgebrochen: Stars werden kompiliert, was das Zeug hält. Beginnen wir mit den englischen Erfolgs-Bluesrockern Bad Company. Leider waren Rodgers. Ralphs & Co. eine Band, die das Niveau ihres Debütalbums nie wieder erreichte (4).

REELIN‘ IN THE YEARS – THE VERY BEST OF STEELY DAN (MCA 252-685) ist den intellektuellsten 70er-US-Rockband gewidmet. Was Donald Fagen & Walter Becker mit oft wechselnden Musikern zwischen „Do It Again“ und „Babylon Sisters“ ablieferten, wird eines Tages nicht mehr als „Rock“, sondern als „Klassik“ gelten und in festlichen Konzertsälen zur Aufführung gelangen! (6).

Soweit sind The Cars noch lange nicht, aber ihre GREATEST HITS (Elektra 460 464) zeigen die zum Mainstream gewordenen New Waver lückenlos von ihrer Schokoladenseite (5), während bei Echo & The Bunnymen die kompilierten Singles von SONGS TO LEARN & SING (Korova 240 767) nur einen bedingt zuverlässigen Einblick in das wahre Können der Liverpooler liefern. Weil die Bunnymen aber sowieso viel mehr sind als die runderneuerten Moody Blues und eine Bonus-Single beiliegt: reichlich (4).

Überhaupt: Hits sind immer noch das beste Argument, längst vergessene Künstler zum zigsten Male aufzubereiten. Voll berechtigt ist das beim farbigen Damen-Gesangsquartett The Shirelles, deren ^ANTHOLOGY 1959-1967 (Rhino RNDA 1101/ IMS) Klassiker wie „Dedicated To The One 1 Love“ und“.Will You Love Me Tomorrow“ enthält (4).

Die GREATEST HITS von Gary Puckett & The Union Gap (Columbia PC 1042/1MS) bestehen dagegen nur aus angerockten weißen Schnulzen („Young Girl“ etc.), die als Hintergrundmusik fürs Teetrinken mit alten Semestern taugen (2).

Es gibt aber noch Ärgeres im Oldies-Geschäft: hemmungslose Resteverwertung. So geschehen bei SCENE BUT NOT HEARD (Barn Caruso MARI 038/Wishbone), dem „zweiten“ Album der englischen R&B-Band The Eyes. Was hier als „recordings from the original acetates“ mit Lagerfeuer-Sound als Ergänzung zu BLINK (Barn Caruso KIRI 028) angeboten wird, kann nur Ultrafans interessieren (1).

Auch nicht viel besser ist, daß Superstars mit ihren „Jugendsünden“ konfrontiert werden. Was Phil Collins 1969 mit Flaming Youth als ARK 2 (Fontana 822 654/1MS) einspielte, ist aus heutiger Sicht lachhafter britischer Progressiv-Rock der Space-Fraktion. Planeten-Geschwafel als Kunstprodukt, wie sich der berühmte Zeitgeist doch ändert …(2).

Fraglich ist auch, ob David „Lord“ Sutch über SMOKE AND FIRE (Thunderbolt TNBL 2022/TIS) glücklich ist. Das alte Horror-Rock-Rauhbein hat sich hier trotz Mithilfe von Jimmy Page. Jeff Beck, John Bonham und Nicky Hopkins eher blamiert (2).

Sehr okay sind hingegen ALBUM III (Edesel ED 168/T1S) vom wichtigen Singer/Songwriter Loudon Wainwright III, mutmaßlich seine beste Arbeit (4). sowie CLOSED RESTAURANT BLUES (Barn Caruso 032/Wishbone) der Pretty Things. Erfreulicherweise wurden hier nicht nur die sattsam bekannten R&B-Fetzer kompiliert, sondern auch Stücke der rettungslos unterbewerteten LP EMOTIONS von 1967, die die Things von ihrer Psvcho-Pop-Seite zeigen (5).