Platte Des Monats

Wilco

Wilco (The Album)

Nonesuch (Warner) 2009

Melancholie und Leichtigkeit

Wilco bringen ihre Vision vom perfekten Folk-Rock-Album auf den Punkt.

„Selbstbetitelten“ Alben wird oft nachgesagt, dass sie als das definitive musikalische Statement verstanden werden wollen. Weil der bewusste Verzicht auf den Plattentitel andeutet, dass die Band mit dem Werk gleichgesetzt werden will, weil darauf die Essenz ihrer Musik eingefangen wird. Im Fall von WILCO (THE ALBUM) ist diese Überlegung durchaus berechtigt. Zum einen, weil es der Band erstmals in ihrer 15-jährigen Geschichte gelungen ist, zwei Platten hintereinander in derselben Besetzung aufzunehmen -einem Line-up, das mittlerweile perfekt aufeinander eingespielt ist und der Idealvorstellung von Sänger, Gitarrist, Songschreiber und Band-Chet Jeff Tweedy von Wilco am nächsten kommt. Zum anderen, weil WILCO (THE ALBUM) auf den Punkt bringt, was schon der Vorgänger SKY BLUE SKY angestrebt hat: makellosen, zurückgelehnten Folk-Rock zwischen Melancholie und optimistischer Leichtigkeit. Um die Möglichkeiten eines Tonstudios wieder mehr zu nutzen, wurden die neuen Songs im Gegensatz zu denen des letzten Albums nicht live eingespielt. Die Basis für Wilcos siebte Platte entstand im Studio des ehemaligen Split-Enz- und Crowded-House-Frontmanns Neil Finn in Neuseeland. Gitarrist Nels Cline und Keyboarder Mikael Jorgensen fügten danach in Chicago Overdubs hinzu. Trotzdem hat WILCO (THE ALBUM) einen so unmittelbaren, warmen Sound, als -wäre es bei einer gemeinsamen Jam-Session entstanden. Die Zeiten, in denen Jeff Tweedy aufgrund seiner Panikattacken und einer daraus resultierenden Tablettensucht dem Leben nur wenig Positives abgewinnen konnte, sind vorbei. Das Albumcover mit dem flauschigen Kamel deutet es schon an: Wilco nehmen die Dinge mittlerweile mit Humor, spenden Trost, bieten ihren Zuhörern eine Schulter zum Ausheulen. „Wilco willloveyou, baby, wben time’s getting tongb“, verspricht schon der Opcner „Wilco (The Song)“. Und doch ist Jeff Tweedy weit davon entfernt, ein unbeschwerter Zeitgenosse zu sein. Das Lächeln fällt ihm immer noch nicht leicht, aber zumindest hat er erkannt, dass man mit den Finten, die einem das Leben stellt, nicht allein zurechtkommen muss: „One wing will never ever fly, neither yours, nor mine“, singt er in „Solitaire“. Erlösung findet Tweedy ein ums andere Mal in der Liebe. Der Liebe, an der ein Paar festhält, obwohl es einander eigentlich fremd geworden ist („You And I“), der wahren Liebe, die alles Weltliche überdauern wird („Everlasting Everything“). Was sich auf dem Papier kitschig und profan liest, verwandeln Wilco in Musik, die in ihrer einfachen Schönheit zu Tränen rührt. Jeff Tweedy hat die Gabe, Songs zu schreiben, die einem auf Anhieb vertrautvorkommen. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass er lue und da gekonnt klaut. „Sohtaire“ etwa entlehnt seine Melodie vom Mittelteil des Beach-Boys-Hits „Good Vibrations“, während sich „You Never Know“ der Nähe zu George Harnsons „My Sweet Lord“ bewusst ist und sogar dessen Gitarrenbeglcitung zitiert. Musikalisch verstehen sich Wilco mittlerweile blind. Die Songs sind geschmackvoll und zurückhakend arrangiert, weshalb sich Feinheiten wie das rückwärts abgespielte Gitarrensolo am Ende von „You And I“ (bei dem Jeff Tweedy mit Leslie Feist im Duett singt) und der Dialogeines Cembalos und einer wimmernden Pedal-Steel-Gitarrc im fast schon barocken „Deeper Down“ erst bei genauerem Hinhören offenbaren. Viertelstündige Soundeskapaden wie „Less ThanYouThink“aufdem2004erWilco-Album A GHOST IS BORN sucht man indes auf WILCO (THE ALBUM) vergebens. Bis auf das düstere „Bull Black Nova“ übersteigt diesmal kein Song die Fünf-Minuten-Marke.

Puristen werden sich daran vielleicht stoßen und der Band den kreativen Bankrott (muss ja irgendwann passieren) oder den kommerziellen Ausverkauf (geht immer) unterstellen – was Jett Tweedy aber egal sein darf. Wenn es eine Band gibt, die mit Fug und Recht von sich behaupten kann, mit jedem neuen Album immer auch das beste ihrer bisherigen Karriere abzuhelern, dann Wilco.

Reiner Reitsamer www.wilcoworld.nel VÖ: 13.6.

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