Raum :: Regie: Lenny Abrahamson, Kanada 2015

Eine Frau, ihr Sohn, ein Zimmer: Was die Welt jetzt braucht, ist Liebe.

Wenn man sich innerlich sträubt, einen Film anzusehen, ist das im Grunde selten ein gutes Zeichen. „Raum“ will man eigentlich nicht sehen. Die Aussicht, die volle Spielzeit eines Films womöglich in nur einem Zimmer zu verbringen, gemeinsam mit einer jungen Frau und ihrem fünfjährigen Sohn, die dort gefangen gehalten werden, löst Abwehrreaktionen aus. Man will das nicht. Eingesperrt sein, die Luft abgeschnürt bekommen. Man hat zu viel gelesen über vergleichbare Fälle, über Kampusch und Fritzl, um zu glauben, aus einem solchen Sujet ließe sich ein Film machen, der unterhält oder anregt. Aber vielleicht muss genau das sein, das Überwinden des inneren Schweinehunds, um sich von Lenny Abrahamsons Film vom Gegenteil überzeugen zu lassen.

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Erklären lässt sich das nur, wenn man mehr über die Handlung verrät, als man es als Kinogänger mögen würde – also ab hier: SPOILER-ALERT! Während sich die Welt von „Raum“ in dem zugrunde liegenden Roman von Emma Donoghue langsam erschließt, weil sie in der teilweise erfundenen Sprache des kleinen Jack häppchenweise beschrieben wird, tastet sich der Film schneller in sein Szenario. Zwar behält Abrahamson konsequent die Sicht Jacks bei, aber „Raum“ ist, was es ist: ein Zimmer, drei mal drei Meter groß etwa, ohne Fenster, mit Bett und Tisch, Fernseher mit schlechtem Empfang und Tageslicht durch eine unerreichbare Deckenluke. Und die Situation ist ebenso eindeutig: Jack wurde hier geboren, er kennt nichts anderes. Seine Mutter wurde vor sieben Jahren von einem Mann, der einfach nur „Old Nick“ genannt wird, entführt und eingesperrt. Er ist die einzige Lebenslinie nach draußen. Regelmäßig kommt er, um die junge Frau zu vergewaltigen. Jack wird von ihr einstweilen im Schrank versteckt. Aber „Raum“ ist kein Film über Gefangenschaft, sondern über Freiheit.

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Die raffinierte Flucht gelingt nach etwa 50 Minuten: In einer der intensivsten Szenen, die man sich vorstellen kann, wenn Jack auf der Ladefläche eines Pickup-Trucks zur anschwellenden Musik der Post-Rocker This Will Destroy You erstmals die Welt wahrnimmt, die er bislang nur aus Erzählungen kannte. Dass der Film nicht mit diesem Triumph endet, zeigt die Klugheit von Abrahamson und Donoghue, die auch das Drehbuch schrieb: Die freie Welt entpuppt sich als das eigentliche Gefängnis. Der Raum war ein Kokon, in dem die Dinge einfach waren. Wie Ma und Jack das Zimmer endgültig verlassen, das zeigt der Regisseur, der uns vor einem Jahr bereits mit „Frank“ begeisterte, mit Einfühlungsvermögen und einem Gespür für großes Kino, das keine epischen Kulissen benötigt, um eine epische Wirkung zu entfalten.