Rock-Spezial
Ist’s das kommende Ding? Sigue Sigue Sputnik sind eine neue Gruppe mit den Interessensgebieten Ultra Violence, Sex Videos, Reichtum, Überfluß, Raketen und Home Computer. Sie selbst nennen dies the fifth Generation of Rock ’n‘ Roll und meinen damit Clockwork Orange. Ein Skandal-Video sorgte für den Vorabrummel, dem nun mit der Maxi „Love Missile“ erstes Vinyl folgt. Produzent Giorgio Moroder läßt tanzen, doch der ehemalige Billy Idol-Sideman Tony James, bei SS Sputnik an der space guitar, hält dagegen und setzt zerrende Sounds auf Moroders DAF-Sequenzen. Keine aufregende Muse — aber diese Frisuren!! (EMI, 4).
Außer Tony James rühren sich noch andere 76er-Veteranen im Zehn-Jahre-Punk-Jahr: Topper Headon, zu LONDON CALLING-Zeiten Drummer bei The Clash, verwirrte die Fans bereits mit Maxis im Stil des Big Band Jazz und verabschiedet sich mit WAKING UP nun endgültig von seiner Vergangenheit. Seine fast durchwegs selbstkomponierte LP bringt 100% tiefschwarzen Soul, Blues und Jazz, musikalische Qualität garantieren Sidemen wie Bobby Tench (Ex-Jeff Beck Gr.). Bassist Jerome Rimson (Ex-Van Morrison), Mickey Gallagher (Keyboards) und der talentierte Sänger Jimmy Helms (Phonogram. 4).
Mark Perry schrieb l976 Artikel über die Londoner Punk-Szene, fotokopierte sie — und fertig war „Sniffin‘ Glue“, das erste Fanzine der Punk-Bewegung. Anfang der 80er löste er seine Band Alternative TV auf und arbeitete als Krankenpfleger. Sechs Jahre später nun eine Maxi mit dem wenig einladenden Titel „Welcome To The End Of Fun“ zum Beweis, daß die neuen ATV so sind wie früher: Primitiv und ungehobelt rumpeln die drei Tracks aus den Boxen. Gut zu wissen, daß manche Comeback-Versuche nicht nur aus pekuniären Gründen stattfinden (RT-Vertr., 4).
MacCoy und Nasty entführten die Sängerin Anita aus ihrer All-Girl-Discoband und nennen die Gruppe Cherry Bombz. „Hot Girls In Love“ ist ein kleiner Glamrock-Juwel, für den man im Herzen immer einen Platz haben sollte (UK-Import, 5).
Zur Frühjahrsoffensive von Psychic TV gehört neben dem Brian Jones-Projekt „Godstar“ auch die Maxi-Version des Jane Birkin-Hits „Je t’aime“. Doch was hat Genesis P-Orridge aus dem schönen alten Party-Knaller gemacht? Ein ödes Stück Muzak mit lachhaften Stimmeffekten und penetranter Orgel (EfA. 1).
Unter dem Namen The Sisterhood waren Ex-Sisters Of Mercy-Mitglieder im Vorprogramm von The Cult unterwegs. Die erste Single „Giving Ground“ bringt Elektro-Pop-Einflüsse in die gewohnte Schwestern-Düsternis, doch das erste Ergebnis geriet etwas dünn (Merciful rel., 3).
Das lange Schweigen um die Television Personalities beendet die Maxi“.How 1 Learned To Love The Bomb“ – und sie dürfte exakt nach dem Geschmack der Fans geraten sein. Wieder schöne Riffs, bedächtige Rhythmen und Dan Treacys spleeniger Humor und alles was man an den TVP so liebt(RT-Vertrieb,5).
Die New Yorker Swans führen eine neue Schule des Schwermetalls ein. Dumpfe Schläge, schleppende Tempi treffen auf den Maxi „Time Is Money (Bastard)“ einen ähnlich tanibaren Rhythmus, wie er von Jim Foetus-Maxis bekannt ist. Die Radikalität des Sängers/Texters Mike Gira sollte man erlebt haben (Some Bizarre, 4).
Jacobites sind Nikki Sudden und Dave Kusworthy — und ihre Balladen wärmen in der kalten Jahreszeit das Herz. So kommt die neue Maxi „When The Rain Comes“ gerade richtig, um den Schnee abzulösen. Dieser leidenschaftliche Folk-Blues verdient entschieden mehr Popularität (Glass, 5).
Auch der gebildeten Musikalität einer Annette Peacock gebührt ein Platz. Ihre neue LP heißt I HAVE NO FEELING, bringt aber das Gegenteil. In einer bruchstückhaften Klangwelt voller Poesie und Kompositionstechnik klingen klar artikulierte Gefühle und unterkühlte Intelligenz (RT-Import. 5).
Ein Geheimtip der GB-lndie-Szene sind die schottischen Shop Assistants: Vier wunderbare Mädchenstimmen singen fröhliche Lieder, dazu schrummelt das einzige männliche Mitglied ausgeruhte Punk-Akkorde. Zwei Trommlerinnen trommeln dazu den strammen Dschungeltakt. Die Band hat zwei kleine EPs. „All Day Long“ und die just erschienene „Safety Net“, beide simpel, treffend und gut.
Noch wildere Mädchen sind im Quartett Fuzzbox tätig. Nach Anhören ihrer ersten EP muß man atemlos zugeben: Nomen Est Omen! Hier wird jedes Instrument erbarmungslos durch den Verzerrer gejagt, aber das Ergebnis gibt dennoch zum Schmunzeln Anlaß. Kurios und symphatisch! (Beide Girl-Groups im RT-Vertr, 5)
Gruppen aus Neuseeland erobern Europa! Nein, nicht ganz, doch scheint auf dem Eiland am Ende der Welt eine beachtliche Szene zu existieren, die vom örtlichen Flying Nun-Label unters Volk gebracht wird. Neben den glänzenden Tall Dwarfs, den verblichenen Clans, den Verlaines und Sneaky Feelings sind The Chilis die Top Band zwischen Auckland und Dunedin. Als erste Flying Nun-LP erscheint in Europa die Chills-Compilation KALEIDOSCOPE WORLD mit frühen Singles der Band, darunter das mysteriöse Meisterwerk „Pink Frost“. Neuere Aufnahmen sind nur über verschlungene Importwege zu beziehen, doch die feinen ausgefallenen Songs des Sängers/Gitarristen Martin Phillipps sollten die Mühe lohnen (Rough Trade Vertr., 6).
Interessant für Freunde experimenteller Klänge sind LPs des Berliner Dossier-Labels: Extreme Klangbilder bringt The Art Barbeque auf FEET HACKED RAJLS. wo bizarre Tape-Einspielungen und Horror-Elektromcs zu metallischen Rhythmen geformt werden (4).
Ebenfalls aus New York kommt die Formation The Ordinaires. Neun Musiker/innen kommen ohne jede Synthetik aus und zelebrieren auf Geigen, Hörnern, Gitarren, Trommeln eine orgiastische Instrumentalmusik mit allerhand komplizierten Breaks (3).
Bourbonese Qualk ist kein neuer Name, doch wegen geringer Auflage kamen kaum Platten des Elektro-Duos über den Kanal. Diesen Mangel behebt die LP THE SPIKE, auf der die Englänger mit Einflüssen von Cabaret Voltaire und SPK eine interessante Alternative zum gängigen Elektro-Pop liefern (4). Dossier-Platten im EfA-Vertrieb.
Zu den besten experimentell-sphärischen LPs der letzten Monate gehört der Soundtrack zum Film DECODER mit Beiträgen von Dave Ball (Ex-Soft Cell), Genesis P-Orridge. Matt Johnson (The The) und Einstürzende Neubauten. Hier offenbart sich die Klanglandschaft einer bizarren Zukunft, in der die beruhigende Wirkung der Supermarkt-Klangberieselung plötzlich ins Gegenteil umschlägt und die Musik zur Waffe wird (EfA, 5).
Princess Tinymeat mit dem exzentrischen Sänger Binttii muß man gehört haben. „A Bun In The Oven“ ist nur als 17 cm-Single auf dem Markt und daher schwer zu bekommen, aber wenn Drummer C. Zappa Swing in die Becken legt, mysteriöse Töne aus unidentifizierbaren Instrumenten den Raum erfüllen und plötzlich diese teuflische Micky Maus-Stimme ertönt, müssen viele Neutöner ein ehrfürchtiges „Salve Magister!“ zwischen den knirschenden Zähnen herauspressen. (Rough Trade. 6).
Zu den inländischen Produkten: Berlins Beat-Band Nr. 1 nennt sich Les Black Carnations. Früher hießen sie Beatitudes, aber das ist lange her – BEAT THE ATTITÜDE heißt ihre Mini-LP, die mit 60er Jahre-Zitaten nur so gespickt ist. Das reicht von Cover-Details bis zum angespielten James Bond-Thema auf „Voices Scream & Murmur“. Für Beat- und Flower Power-Enthusiasten (Pastell, 5).
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