Schneeweiß und Russenrot

Ziemlich krasse Geschichte aus der realen Endzeit. Mit vermeidlichen und unvermeidlichen Schwächen. Früher passierte es alle paar Jahre, heute alle paar Tage: dass ein junge Autor(in) mit einer „ganz neuen Sprache“ eine „wilde Poesie verströmt“ und zu wahlweise „Kultautor(in)“ und/oder „Sprachrohr einer (meist neuen) Generation“ wird. Dorota Maslowska hat ihr Buch mit 18 geschrieben, in vier Wochen während der Abiturvorbereitung, und dafür mehrere Preise erhalten; inzwischen ist es in jede Menge Sprachen übersetzt. Tatsächlich ist es kein Roman, nicht mal Literatur im (sorry:) „klassischen“ Sinne [sondern etwas, was man im Sinne des kürzlich verstorbenen Spalding Gray „Slam-Cabaret“ nennen könnte, wenn das nicht so furchtbar klänge) – und trotzdem lesenswert. Wie das? Es ist einerseits die Sprache, die freilich auch nicht, wie der Verlag meint, „ganz neu“ ist, sondern eine Abform des üblicher werdenden Global-Slangs der Viertelsprachlichkeit: Maslowskas Erzähler Andrzej spielt mit Wörtern, die er nicht versteht, verwechselt sie, verbindet sie zu Sätzen, die keinen Sinn ergeben (oder einen ganz anderen) wir kennen den Effekt von Erkan & Stefan und vielen Kollegen und lesen automatisch mit schwer rollendem R. Bei Maslowska erfriert einem das Lachen angesichts der totalen Verwahrlosung, in der die Figuren vegetieren und die nicht einmal Verzweiflung zulässt. Diese universelle Verwahrlosung andererseits, die der Konsumreligion auf ihrer krebsartigen Wucherung um die Welt folgt, erscheint hier in ihrer polnischen, einer besonders rapiden und radikalen Form. Die Spannung zwischen Witzelei und Nihilismus, Oberflächlichkeit und dem Abgrund der Entmenschung ist in der Tat fesselnd, faszinierend und erschreckend. Leider hat das Buch auch seine Schwächen: Die Story ist banal, die Personen bestehen fast nur aus bizarren Grundmerkmalen. Die Übersetzung, obwohl im Ganzen von kongenialem Witz, stößt immer wieder an die Grenzen der für Sprachwitz leider sowieso kaum geeigneten Reformsprache Iwieso sagt jemand, eine Frau sei „sehr gut aussehend“? Man sagt doch auch nicht, ein Koch sei „sehr gut würzend“). Und wenn der Autorin zwischendurch das erzählerische Pulver ausgeht, schleppt sie sich durch Passagen öder Nichtigkeiten (Sie-sagte-ich-sagtesie-sagte etc.) bzw. walzt einen Gedanken des Erzählers so lange aus, bis man ihn nicht mehr erkennt (weil man das Buch weglegt und spazierengehtl. Das ist heute, wo Bücher öfter am Mikro entstehen als am Schreibtisch, üblich – weil sie eigentlich gar nicht geschrieben werden sollten. Kabarett und Slam lasst man sich lieber erzählen, weil man sich so zwischendurch mit anderen Dingen beschäftigen oder kurz abschalten kann.