The Coral – The Coral :: Zeitmaschine

Die beste Popmusik ist oft nicht mehr als eine Zeitmaschine, die den Hörer in ein Land der Erinnerung entführt, wo alles so ist, wie es nie war. Denn die besten Erinnerungen sind oft nicht mehr als ein Staubkorn, um das sich im Lauf der Zeit eine harte, schimmernde Kalkschicht gebildet hat, die es zur Perle macht und der „Wirklichkeit“ entrückt. Wenn dann die richtigen Melodien und Akkorde ertönen, kommt die Perle ins Rollen, und … uff, genug Metaphernsalat. Für The Coral war die Geschichte der Popmusik ungefähr 1975 zu Ende, und das wäre ja eine ganz schöne Einstellung, denn so toll der Sturm der Erneuerung war, der danach begann, so erbarmungslos wehte er vieles weg, was wir heutzutage mühevoll wieder ausgraben und suchen – manchmal vergeblich. Andererseits hat für The Coral die Geschichte gerade erst begonnen, denn die sechs Buben aus Hoylake am Mersey sind 18 (drei), 19 (zwei) bzw. 21 Jahre alt und können höchstens ihre Großeltern nach den weniger historischen Kollegen von Love, Doors, Syd Barrett und jener anderen Mersey-Band befragen. Ihre musikalische Methode unterscheidet sich denn auch grundlegend von der fruchtbaren Vergangenheitsbewältigung, die Leute wie Myracle Brah, Cotton Mather und The Las auf einsamen Paradies-Inseln im rauen Pop-Ozean stranden ließ. The Coral knüpfen nirgends an und greifen nichts auf, sondern erfinden alles neu, mit einer ungestümen Energie, einem (doch, doch!) progressiven Ideenreichtum und dem übersprudelnden Willen, alles sofort zu tun vielleicht deshalb erntete ihr (auch in Bezug auf das, was die Texte so erzählen] phantastisches Debütalbum nicht nur verblüffte Begeisterung bei Fachleuten und Gralshütern der „alten Schule“, sondern zugleich Platz fünf der britischen Charts – The Coral sind hier und jetzt. Stellenweise wird der Wirbel aus abenteuerlichen Breaks, Sturzbächen gewagter Harmonien und annähernd grandiosen Melodie-Splittern fast zu viel; man drückt die Pausentaste, hält kurz inne, stürzt sich dann wieder hinein. Das ist kein Nachteil: Wie Erinnerungen in kleinen Dosen genossen werden wollen, um ihre bezaubernde Wirkung voll entfalten zu können, sollte man auch die Gegenwart manchmal bremsen, damit sie sich nicht selbst überholt.

www.thecoral.co.uk