Tyler, The Creator

Goblin

XL/Beggars/Indigo VÖ: 6. Mai 2011

Jesus Christus empfiehlt: Die Wiedergeburt des Rap. Das Album, mit dem Odd Future Wolf Gang Kill Them All aus dem Selbstreferenzsystem in Los Angeles auf der großen Bühne aufschlagen.

Jesus, der alte Checker. Der hat sie natürlich, die Telefonnummer des heißesten Rappers auf diesem verdammten Planeten. Also ruft der Messias mal eben kurz durch, um sich zu beschweren. Diese ganzen Beschimpfungen würden ihn krank machen. Und Tyler, The Creator empfiehlt: Hör auf rumzuheulen, such dir deinen eigenen Seelenklempner.

Der Song heißt „Yonkers“. Am Ende des Videoclips verspeist Tyler eine Kakerlake. Goblin ist nichts für empfindsame Gemüter. Das Album, mit dem Odd Future Wolf Gang Kill Them All aus ihrem Selbstreferenzsystem in Los Angeles auf der großen Bühne aufschlagen, ist ein großer Wurf, ist alles umfassende Erklärung, ist Statement und Manifest, Versprechen und Absage an alle Erwartungen zugleich. Da wird ejakuliert und gelutscht und masturbiert, in den Arsch gefickt und allerhand Unappetitliches veranstaltet mit den genreüblichen Bitches und primären Geschlechtsorganen. Niggers und Bullen überall, Schwänze und Schwule und Scheiße und Arschlöcher und Mutterficker sowieso. Hitler hat auch seinen Auftritt, ebenso wie Elvis und – wir erwähnten es bereits – Jesus Christus. Aber auch Selbstzweifel und Selbstmordgedanken, und Tyler vergisst auch nicht, sich bereits im ersten Satz des Albums abzusichern: „I’m not a fucking role model.“ Später wird er noch rappen, wird bedrohlich grummeln wie der böse Onkel hinter dem Busch: „I’m a fucking walking paradox/ No, I’m not.“ Ausgrenzung, Einschränkung, Größenwahn und Selbsthass im wahnhaften Wechsel. Dies, fühlt sich Tyler verpflichtet zu sagen, ist verfickte Fiktion und er lehne es ab, Verantwortung zu übernehmen. Kurz: Im Vergleich zu dem bösartigen Misanthropen Tyler Okonma, eben erst zarte 20 Jahre alt geworden, ist selbst Eminem ein blumenstrauß­schwenkender Menschenfreund.

Tyler ist nicht nur Rapper, sondern Clan-Chef, Video­regisseur, Merchandising-Designer und Produzent. Als solcher hat er spartanische Grusel-Beats programmiert, grausame Schläge unter die Gürtellinie im Minutentakt. Ein minimalistischer Neurosen-Boogie in Zeitlupe, und manchmal setzt der Rhythmus völlig aus. Nein, Party-Rap ist das nicht. Stattdessen Soundtrack zur lyrischen Paranoia, Hörspiele aus den Abgründen einer zerrissenen Seele, Miniaturen aus Psycho-Müll, Geräusche aus der Rumpelkammer und Samples aus dem Abfalleimer, einsamen Keyboardflächen und verkorksten Trance-Beats,

B-Horrorfilm-Atmosphäre und Kindergeburtstag mit Kettensäge. Kein Tanz, kein Spaß, keine Wohlfühl-Beats, und ganz bestimmt: keine Mitsing-Refrains von verführerischen Frauenstimmen. Das ist Rap.

Das Schaffen von Odd Future, das gute Dutzend Alben, das zum freien Download im Internet bereitsteht, ist nicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Zu differenziert sind die verschiedenen Stimmen, zu widerborstig die Entwürfe. Tyler, The Creator ist das Aushängeschild der Gang, aber Goblin ist mitnichten die leicht verdauliche Einstiegsdroge in diesen verwirrenden Kosmos. Nein, dieses Album ist ein großes Werk auf eigene Rechnung, weil es seine Idee ohne Rücksicht, ohne Kompromisse zu Ende führt. Niemals kommt Goblin in die Versuchung, gefällig zu sein, niemals macht es Anstalten, sich jenem Mainstream-Publikum zu öffnen, das aktuell Schlange steht, um Odd Future mit offenen Armen zu empfangen.

Tatsächlich ist Goblin musikalisch sogar noch bösartiger als Tylers Debüt Bastard, auf dem bisweilen allzu deutlich seine Verehrung für die Neptunes zu hören war. Diese radikale Antikommerzialität ist die perfekte Antwort auf den Hype um Odd Future. So tot Rap in den vergangenen Jahren war, so aufregend ist diese Notoperation am offenen Herzen des Genres. Es mag keine Revolution sein, aber doch eine Runderneuerung, die Odd Future gelingt und in Goblin nun ihren ersten, öffentlichkeitswirksamen Höhepunkt findet. Das erinnert an den Beginn der Neunziger, als der Wu-Tang Clan die 36 Chambers betrat und dem HipHop neue Wege wies. Die Veröffentlichung des Wu-Tang-Debüts ist fast genau 18 Jahre her: Das Konzept vom radikal intimen Mikrokosmos mit seinen eigenen Gesetzen, missverständlichen Codes und den Amok laufenden Stimmen ist fast volljährig. Es war Zeit für eine Wiedergeburt. Sie ist gelungen.

Key Tracks: „Yonkers“, „Sandwitches“, „Goblin“

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