Wu-Tang Clan – Forever
Dies ist die Geschichte einer langen, schweren Geburt. Denn dieses Kind hat neun Väter, und es sollte das stärkste, schönste, größte und klügste Kind von allen werden. Allein damit dies eintritt, bedurfte es der ständigen, intensiven Zusammenarbeit aller neun Erzeuger. Da diese jedoch reich, berühmt und mit diversem Zeitvertreib beschäftigt sind, gestaltete sich das alles unglaublich schwierig. Die Rede ist von HipHop, die Rede ist vom Wu-Tang dang. Und die Rede ist von einer beispiellosen Mischung aus Geschäftssinn und Chaos, aus harter Ghetto-Realität und surrealen Rollenspielen. Diese haben ihren Ursprung in einer tiefen Passion der Cousins Robert Diggs, Gary Grice und Russell Jones, die vor zehn Jahren ihr weniges Teenager-Geld mit Vorliebe in die Kinovorstellungen aller Arten von Kung-Fu-Filmen steckten. Wu-Tang war dabei der Name eines besonders populären Streifens und der Grundstein für eine gedankliche Flucht aus Armut und Tristesse. Und aus den drei New Yorker Straßendealern Robert, Gary und Russell wurden RZA, Genius und 01′ Dirty Bastard – die ersten Mitglieder des Wu-Tang Clan. Die Sprache der schnell auf neun Mitglieder anwachsenden Gruppe ist – natürlich – HipHop, doch der HipHop des Clans war von Anfang an anders. Robert „RZA“ Diggs, der für alle musikalische Arbeit Verantwortliche, benutzt Beats und Samples wie sonst nur Tricky. Er geht bis in die Tiefe, läßt alle rhythmischen Spuren arbeiten, schleifen und brechen, die Samples sind ebenso ungewöhnlich wie sparsam, meist nur die Andeutung einer Melodie. Dazu kommen die höchst unterschiedlichen Stimmen der acht Rapper, allen voran der hysterische Singsang von 0l‘ Dirty Bastard, das offensive Lispeln von Raekwon, die kratzige Coolness von Method Man und die fließende Eleganz von Genius. Zusammen ergibt sich der totale Überschuß, ein immer kurz vor dem Umkippen stehendes System, offen, wild und lebendig. Das erste Werk dieser Art hieß schließlich PORTECT YA NECK und wurde vom Clan eigenhändig 10.000 mal verkauft. Danach folgten große Verträge und 1993 das erste Album ENTER THE WU-TANG (36 CHAMBERS), und nichts war mehr wie früher. Dies, so waren sich Presse und Fans einig, ist der HipHop der Zukunft – dunkel, verstörend und neu. Obwohl diese Platte denkbar wenig mit Pop zu tun hatte, wurden davon mehr als eine Million Exemplare verkauft. Und dann zeigte sich der wahre Geschäftssinn des Clans, denn aufgrund einer speziellen Klausel im Vertrag können die einzelnen Mitglieder Solo-Deals abschließen, die natürlich dank der plötzlichen Popularität sehr zugunsten der Künstler ausfielen. So sah die Welt innerhalb kürzester Zeit Alben von Method Man, 0l‘ Dirty Bastard, Raekwon, Genius, Ghostface Killah sowie RZA- und allesamt wurden mindestens vergoldet. Der Wu-Tang Clan bildete mit seiner Kombination aus roher Musik und ebenso wilden wie phantasievollen Texten ein höchstwillkommenes Gegengewicht zum selbstgefälligen G-Funk der Westküste. FOREVER ist nun die bescheidene Überschrift für das, was die bisherige Arbeit bündelt und krönt. Und der Titel trifft in zweierlei Hinsicht: Zum einen wird sich der Wu-Tang Clan mit diesen 26 Stücken endgültig in die Geschichtsbücher einbrennen, zum anderen dauerte der Prozeß dahin ewig. Dreimal wechselte man das Studio, schließlich reichte auch eine eigens gekaufte Villa nicht aus, und die Stadt mußte verlassen werden, um die neun Diven zu sammeln und mit genügend Abstand zu den heimatlichen Strukturen konzentriert arbeiten zu können. Das Ergebnis rechtfertigt jedoch alle Mühen. RZA, auf dem Weg zum gefragtesten Produzenten, hat sein Wissen um ßass und Rhythmus in einen opulenten organischen Fluß gebracht. Das chaotische Durcheinander der ersten Platte ist geordnet, die stets bedrohliche Atmosphäre einem Mitund Nebeneinander von leichten und tiefen Elementen gewichen. Auf FOREVER treffen sich Polyrhythmik und filmmusikalische Stimmungen, große Streicherensembles und piesiger Minimalismus, unterlegt von den besten Beats. Nur wenige Stücke offenbaren sich sofort, die meisten geben ihren Reichtum erst nach mehrmaligem, aufmerksamen Hören preis, denn wie populär das auch immer werden mag: Pop ist es noch lange nicht.
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