Royel Otis live in Berlin: Wenn Understatement plötzlich ganz laut wird
Wie Royel Otis die Columbiahalle in eine ausgelassene Indie-Party verwandelt haben – unser Nachbericht.
Was am 18. November auf der Bühne der Columbiahalle in Berlin für 70 Minuten passiert, lässt sich mit dem Wortschatz, den die deutsche Sprache zu bieten hat, fast unmöglich erklären. Das australische Musikduo Royel Otis, bestehend aus Gitarrist Royel Madell und Frontsänger Otis Pavlovic, liefert an diesem Abend in der Hauptstadt eine Show ab, die wohl vergeblich Ewigkeiten ihresgleichen suchen wird.
Dabei beginnt der Gig der beiden Freunde, die sich in einer Bar in Sydney kennengelernt haben, unfassbar unaufgeregt. Einer in lockeren Jeans, der andere in Jogginghose – so betreten Royel Otis die Stage, als würden sie die kommende Performance völlig ohne Sorgen einfach aus dem Ärmel schütteln. Ab diesem Moment ist klar: Diese Typen wissen, was sie machen – und das vollkommen ohne jegliche Starallüren.
Betrunkener Pop-Punk begeistert Berlin
Gemeinsam mit ihrer Band, bestehend aus einem Schlagzeuger und einem über alle Maßen motivierten Virtuosen an Keyboard und Synthesizer, erklingen mit „i hate this tune“ die ersten Töne in Berlin-Tempelhof. „(this is royel otis live)“ erscheint auf der Leinwand des Bühnenbilds, und spätestens jetzt sollte jede:r Zuschauer:in wissen, wo sie sich gerade befinden. Nach nur ein paar gespielten Chords und gesungenen Zeilen folgt bereits die eindrucksvollste Erkenntnis des Abends: Das Duo klingt live nahezu identisch zu seinen Studioaufnahmen.
Während sich das Genre der Band irgendwo zwischen Indie-Pop und Indie-Rock einordnen lässt, bezeichnen Royel Otis ihren Sound eher als „betrunkenen Pop-Punk“, der ein nostalgisches Gefühl vermitteln soll. Und das gelingt ihnen definitiv! Alles ist leicht, alles ist unbeschwert und dabei noch so echt und authentisch – wem das nichts gibt, war definitiv am falschen Ort. Für den Track „Heading For The Door“ wird die gesamte Crowd in pinkes Licht gehüllt, und nun lesen sich die Worte „(meet me in berlin)“ auf dem LED-Screen hinter dem Band-Setup. Dass diese Leinwand noch eine besondere Rolle einnehmen wird, zeigt sich später.
Der Griff in die Trickkiste
Es folgt ein energiegeladener Mix aus älteren und neuen Songs wie „who’s your boyfriend“, „Kool Aid“ und „Foam“, bevor die Jungs eine Reihe Tracks aus ihrem zweiten Album „hickey“ performen. Dabei wird auf dem besagten Screen jeder Song einzeln erklärt, damit allen klar ist, wovon die jeweiligen Lieder handeln. So scheint es laut der Band selbst bei „shut up“ darum zu gehen, dass man nicht will, dass eine Person geht, denn im Hintergrund steht groß: „(this is a song about not wanting someone to leave)“. Bei „come on home“ greift Frontsänger Otis Pavlovic tief in seine gesangliche Trickkiste, präsentiert gekonnt seine höhere stimmliche Range und gibt den Fans einen kurzen Moment zum Durchatmen. Bis hierhin war bei diesem Konzert Stillstehen einfach keine Option – wie auch bei der Performance, die die Band auf der Bühne abliefert.
Royel Otis machen vor: So gehen Konzerte!
Für einen Moment wird es etwas ruhiger, als die Band ihren Track „jazz burger“ spielt und die Halle in ein Taschenlampenmeer getaucht wird – oder es zumindest versucht. Mit der Anzahl an Lichtern wirkt das Ganze eher wie ein kleiner Teich statt wie Atlantik oder Pazifik. Was sich bis hierher – und auch noch weiter – durch den Auftritt von Royel Otis zieht, ist die unaufdringliche, unaufgeregte und zugleich unfassbar selbstverständliche Art, ein Konzert zu performen, die authentischer nicht sein könnte.
Zwischen sanften Klängen, manchmal schrammeligen Gitarren-Sounds, eindrucksvollen Schlagzeugsolos und einem Meister an den Tasteninstrumenten setzt sich eine Show zusammen, die man so noch nicht gesehen hat. Dass einer ihrer bekanntesten Songs ausgerechnet kein eigener, sondern eine Coverversion von „Linger“ von The Cranberries ist, scheint die Australier nicht zu stören, denn auch dieses Lied hat es auf die Setlist der „meet me in the car“-Tour geschafft. Während die ersten Chords gespielt werden, erscheint auf dem LED-Screen der Schriftzug „(help us sing this song)“, und das lässt sich die Menge nicht zweimal sagen. So singt die gesamte Columbiahalle beseelt den Klassiker, während unermüdlich von links nach rechts und rechts nach links geschunkelt wird.
Wenn aus dem Zuschauen ein Miteinander wird
Doch das Schunkeln verwandelt sich in einer Millisekunde in ausgelassenes Tanzen, als Royel Otis ihrer Show endgültig die Krone aufsetzen. Plötzlich wird der Gig während „I Wanna Dance With You“ zu einem Mitmach-Konzert. „(dance with the person next to you)“ und „(put your hands in the air)“ erscheinen als Aufforderungen auf der Leinwand, kurz bevor die Halle gebeten wird, die Arme nicht nur in die Höhe zu strecken, sondern sie auch ekstatisch zu bewegen. Ein Wunsch, den man der Band auf keinen Fall verwehren will oder überhaupt kann.
Es folgen Tracks wie „Fried Rice“ und „Bull Breed“, die es unmöglich machen, auch nur einen Moment stillzustehen. Nach „say something“, einem Song ihres zweiten Albums, verlassen die Jungs die Bühne, doch es ist klar: Das war noch nicht das Ende. Viele Jubelrufe und klatschende Hände später betreten Royel Otis erneut die Stage und performen mit „Oysters In My Pocket“ ihr wohl bekanntestes Stück, das noch ein letztes Mal für eine Art von Euphorie sorgt, die wünschen lässt, dass dieser Abend niemals endet. Selten hat es eine Band geschafft, solch ein Gefühl von Unbeschwertheit und Freiheit nicht nur auf die Bühne, sondern auch in die Körper der Fans zu bringen. So bleibt nur eines – sich von ganzem Herzen für diesen Auftritt zu bedanken. Royel Otis, es war mir ein Fest!



