„Sanges – Schwuchtel“


Die "höhensonnengegerbte Sanges-Schwuchtel" wollte er nicht schlucken. Thomas Anders, 1987 eben so von ME/Sounds tituliert, zog vor Gericht. Dem damaligen ME/S-Redakteur Martin Brem, Verfasser der Zeilen, war daher reichlich mulmig, als er dem "Gegerbten" erstmals die Hand schüttelte. Doch siehe da ...

Ich wußte: Irgendwann einmal würden wir uns begegnen. In diesem Hamburger TV-Studio war es denn soweit. Die Erinnerungen sind blitzartig wieder im Kopf: Zweieinhalb Jahre ist es her, da sah sich das zartbesaitete Bürschchen von einer meiner – zugegeben nicht gerade rücksichtsvollen – Formulierungen dermaßen verletzt, daß er ein Berliner Gericht zwecks Schmerzensgeldforderung in Höhe von DM 70.000 bemühte. Der Prozeß um die „höhensonnengegerbte Sangesschwuchtel“ sollte nicht nur die ME/Sounds-Redaktion, sondern sogar seriöse Tageszeitungen beschäftigen.

Nicht ohne Pikanterie, den Stein des Anstoßes jetzt erstmals persönlich kennenzulernen. Ich gehe auf ihn zu, mache mich bekannt. Thomas gibt mir die Hand und grinst:“.Du bist das also. Hast Du damals wenigstens ’ne Gehaltserhöhung bekommen?“ Wir unterhalten uns. Thomas erzählt von den grotesken Schwierigkeiten, den Leuten sein neues Album DIFFERENT zu präsentieren: Zu festgefahren sind die Meinungen über ihn, zu stur ist die Medienlandschaft, die seinen neuen Stil nicht einmal registrieren möchte. „Die Ablehnung geht soweit, daß Radio-Redakteure hinter der Hand die Songs für gut befinden, dann aber in der Öffentlichkeit sagen: Es ist Thomas Anders, also spielen wir’s nicht!“

Geht ihm das nahe, oder ist das Spießrutenlaufen schon Routine?

„Das hängt von der Tagesform ab. Aber es hält mich jedenfalls nicht davon ab, unbeirrt weiterzumachen. „

Was bleibt ihm auch anderes übrig, ist man unwillkürlich versucht zu kommentieren, bis man plötzlich realisiert, daß es der Junge nun weiß Gott nicht nötig hätte. Circa 35 Millionen Schallplatten (unseriöse Schätzungen sprechen sogar von 60) hat er mit Modern Talking verkauft, und Deutschlands bester Musik-Anwalt hat rechtzeitig dafür gesorgt, daß das Geld nicht nur in die Taschen von Dieter Bohlen floß. Mit seinen 26 Jahren wäre Anders reif für die Frührente. Genug Asche auf der Seite, um sich einen schönen Lenz zu machen, teure Autos zu fahren und luxuriöse Häuser zu besitzen. Er könnte in Saus und Braus privatisieren, Philosoph oder was ähnlich Anständiges werden, vielleicht sogar einen auf Menschenfreund a la Karl-Heinz Böhm machen.

Und was tut er? Quält sich mit deutschen „Medienpartnern“ und Schallplattenfirmen, läßt sich ärgern von hämischen Zeitungsberichten und sehr populären Vorurteilen, die Ex-Partner und Selbstbewußtseins-Wunder Dieter Bohlen auch

immer wieder gerne bekräftigt. Warum denn eigentlich diese Plackerei?

Weil – und so trivial ist nunmal das Leben – die Anerkennung schwerer wiegt als tausend Donald Ducksche Taler-Bäder, weil Reichtum nicht ersetzen kann, was dem Sänger die Liebe und Zuwendung eines Publikums wert sind. Schluchz!

Auch wenn mir die Vorstellung vor zweieinhalb Jahren als völlig absurd erschienen wäre: Der Typ ist völlig okay. Selbst Nora, die immer noch an seiner Seite waltet und den um einen Kopf kleineren Thomas vor der Unbill des Lebens behüten will. Sie sind beide gescheiter geworden, nicht mehr so naiv, einfach erwachsener. Damals waren sie Kinder, bis über beide Ohren stolz auf das Erreichte und fürchterlich unvorsichtig, was die Gestaltung ihres Öffentlichkeits-Bildes angeht. Es dauerte nicht lange, da waren sie das meistgehaßte Paar der Szene. „Was hab ich eigentlich falsch gemacht?“, fragt Thomas heute noch kopfschüttelnd.

Deutschen Menschen zeigen, daß man viel Geld verdient, mit einer Musik, die diesen Namen nun wirklich nicht verdient, dazu ein affektiertes Gehabe und die öffentlich dokumentierte, goldkettchenbestätigte Abhängigkeit von einer noch reicheren Frau samt Chow-Chow? Klar, daß dann – gerade in Deutschland – das Hackebeil gewetzt wird.

Anders arbeitet hart. An sich und überhaupt. Die Fehler der Vergangenheit werden selbstzweiflerisch ergrübelt, sein Qualitätsanspruch ist hoch, reicht jedenfalls weiter als jener, den „Supergeil“-Produzent Bohlen sein eigen nennt. Allein für den Versuch gebührt ihm Respekt.

Seine Vision von Popmusik ist luxuriös: Edel muß sie sein, weitläufig und gut. Große Melodiebögen braucht seine Stimme und harmoniebedürftig ist sie. „Besser als die Stock/Aitken/Watennan-Kacke soll es doch schon sein!“

Führt man musikalische Maßstäbe wie harmonische Vielfalt oder arrangementtechnische Finesse an, so hat er schon mal mit seinem „Debüt-Album DIFFERENT das Klassenziel lässig erreicht.

Aber Anders hat noch einen Hammer auf Lager: Bei sich zuhause (oh ja, ich war eingeladen!) zeigte er mir ein Video, das jedes noch so festgefahrene Thomas Anders-Bild erschüttern sollte: Da sitzt er auf einem Hocker, ohne Netz und doppelten Boden, und intoniert live (!) Balladen, vor ihm – in einem Fußballstadion in Chile – 18.000 Leute, mitsingenderweise und völlig aus dem Häuschen.

Mit Anders ist zu rechnen. Der leistungsstarke Motor „Anerkennungs-Sucht“ wird ihn solange auf Trab halten, bis die meisten bereit sind, die Meinung über ihn zu revidieren. Benzin genug hat er.