Siebzehnundvier


Mut zum finanziellen Risiko in wirtschaftlich mageren Zeiten: Die Fantastischen Vier wagen sich mit großem Orchester auf die Bühne und wollen dabei nur am Strom sparen.

Das Leben des Berufsmusikers ist eins der härtesten und voller Risiken. Und HipHop hat immer auch was mit Hüpfen zu tun. Smudo, ansonsten das redseligste Viertel der Fanta Vier, könnte davon ein Lied singen. Will er aber nicht. Smudo schweigt ausnahmsweise, und das muss manverstehen. Denn: Smudo ist verschwitzt. Geschafft. Ausgepumpt. Komplett erledigt. Und verletzt: Ein Fuß parkt zwecks Kühlung in einer Wanne mit Eis. „Absplitterung am Fußknöchel“, wird der behandelnde Arzt spater diagnostizieren, hervorgerufen durch vollen Einsatz bei der Arbeit: HipHop und Hüpfen eben. Einen alten Musiker-Hasen wie Smudo hat das – obwohl er sich die Verletzung schon beim zweiten oder dritten Song zuzog – nicht davon abgehalten, das erste Unplugged-Set der Fanta Vier seit dem mittlerweile legendären MTV-Auftritt in der sauerländischen Natursteinhöhle zu Balve komplett durchzustehen. Man kann das unter „Die ganz normale Härte gegen sich selbst“ einordnen, man kann es Berufsrisiko nennen – oder eben ganz einfach darauf zurückführen, dass Die Fantastischen Vier nach langer Bühnenabstinenz bei ihrem Auftritt im Rahmen des Zeltmusikfestivals in Freiburg nicht einfach nur freudig begrüßt, sondern enthusiastisch gefeiert und von ihrer Kundschaft mit unbändiger Begeisterung gepriesen werden. Eine Treue, die ohne weiteres mit jener vergleichbar ist, die Depeche Mode von ihren Fans entgegen schlägt. „Vier, vier, vier“, skandiert die Masse, und beweist dann beim Abfeiern der Lieblinge über zwei Stunden beachtliche Ausdauer. Mein lieber Schwan, wird diese Band geliebt!

Rückblende: Garderobe, kurz vor acht. Wer in den vermeintlichen Mythos Backstageraum heutzutage auch nur noch einen Restfunken Glamour hinein interpretiert – hier wird er endgültig eines Besseren belehrt. Platz ist wenig, Gewusel dafür reichlich, eine klare Einteilung unabdingbar: „Tourmanager“, „Fanta 4“, „Streicher“, „Bläser“ – so lauten die Beschriftungen der kargen Garderoben, in und vor denen sich die beteiligten Damen und Herren nach und nach sortieren. Geiger stimmen, Bläser tuten, Keyboarder Lillo Scrimali kümmert sich um sein Haupthaar. Die Frisur sitzt, wegen ihm könnt’s losgehen. Geht’s aber noch lange nicht. Hausmarke bittet um Gehör und ruft ebenso bestimmt wie ziellos in die Runde: „Das ist heute der erste Abend der Tour, und ich möchte darum bitten, dass jeder auf sein Instrument und auf die neuen Tourklamotten selbst aufpasst. Und wenn ich mal ganz ehrlich bin, gilt das auch für die nächsten Auftritte, eigentlich für alle.“

Hausmarke ist ganz ehrlich, und die Touranzüge der Orchestermusiker sind graublaue Arbeitsoveralls mit prägnantem „F4“-Aufdruck und dem leicht retroseligen „Atomkraft – Nein, danke“-Aufnähern. Leichte Kleidung ist was anderes an diesem heißen Sommertag im Breisgau. Thomas D ist’s egal, der Mann hat andere Sorgen: Das neue Schuhwerk, Sportschlappen der Marke Converse, ist eine halbe Nummer zu groß. Doch der Schwabe in Thomas Dürr behält Oberhand: „Gesponsert ist geschenkt“, giggelt er, „außerdem ist so mehr Platz für Schwein, den ich nachher in die ersten Reihen kippen kann.“

„Wie viel Zeit haben wir noch?“, fragt Smudo, die zerfledderten Reste einer Zeitung schon unter den Arm geklemmt. „Zeit genug für das, was du vorhast“, analysiert Thomas D auf die Schnelle, bevor Hausmarke zwei Minuten später zur letzten Vollversammlung vor dem Bühnengang bittet. „Smudo ist noch scheißen“, erläutert Herr Dürr das Fehlen des Kollegen, der justament auf die letzte Silbe wieder um die Ecke biegt. Ohne Zeitung, dafür aber zweifelsohne erleichtert. Ein zackiges „Freundschaft!“ tönt schließlich aus dem 21-köpfigen Beschwörungsritualkreis, und unbestätigten Gerüchten zufolge hat auch And.Ypsilon mitgebrüllt. Vorher jedenfalls hat er das gemacht, was er im Kontext der Vier meistens macht: dem Schweigen eine Chance gegeben.

Song Nummer drei des Sets, „Die Stadt die es nicht gibt“, das Lied mit der eingebauten Hildegard-Knef-Hommage. Das Zirkuszelt kocht, Smudo humpelt das erste Mal von der Bühne. Kein Problem für die anderen beiden Rampensäue der Band. Thomas D und Hausmarke übernehmen nahtlos, freuen sich hernach glaubhaft über so viel Zuneigung – „Des isch d’r Wahnsinn, dass ihr uns nach über drei Jahren so empfangt“ -, und dann geht es auf eine Zeitreise durchs eigene Oeuvre. Mit nochmals gesteigerter Betriebstemperatur, mit hemmungslos-kollektivem Synchronschwitzen. Bei „Le Smou“ hat der gehandicapte Smudo seinen großen Auftritt, „Sie ist weg “ richtet den Spot auf Hausmarke, und bei „Millionen Legionen“ – unplugged hin, uneingestöpselt her, Rituale sind was Feines – zieht Thomas D wie immer obenrum blank und zeigt, was ihm der Tätowierer so alles in die Haut geritzt hat. Mit „Konsum“ wird ein ganz alter Song im orchestralen Gewand präsentiert, auch hier sind die Fans bis zur letzten Silbe textsicher, und bei „Schizophren“ mit verstärktem Kettensägeneinsatz brechen schließlich alle Dämme: Es rummst und wummst, artet aber nie in brachiale Gefilde aus. Schlagzeuger Flo Dauner und Percussionist Roland Peil klöppeln ein groovendes Rhythmusgerüst, Keyboarder Lillo Scrimali tastet sich in die Herzen der Menschen, Michael Heupel ist mit seiner Subkontrabassflöte bei „Der Picknicker“ ganz weit vorn, Klaus Marquardt sorgt als „Head of Streicher“ dafür, dass sich die Bögen kongenial ins große Ganze einfügen, und And.Ypsilon ist wie immer der Technische Direktor.

Ein letztes Aufbäumen des transpirierenden Publikums bei „Populär“ und „Buenos Dias Messias“, „MfG“ servieren die vier Fantas als elder statesmen des deutschen HipHop lässig, gekonnt, und als Zugabe kommen dann drei Songs, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Beim neuen „Pipis & Popos“ nimmt Smudo den einen oder anderen Zug aus der Heliumflasche und macht Faxen mit Mickymausstimme, den „Liebesbrief“ schreibt Thomas D mit serienmäßig installierter esoterischer Gebetsmühle, und beim psychedelisch-schönen „Tag am Meer“ kann man dann alle möglichen Farben sehen. Man muss sie nur zulassen wollen. Was als Erkenntnis bleibt, ist das hier: Vier gewinnt. Immer noch und immer wieder. Und als 17 und 4 sind sie nachgerade unschlagbar.

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>>> www.fourmusic.com