Sinead O’Connor: gehäutet & geläutert


Glatzköpfig und rotznäsig trampelte der irische Punk vor zwei Jahren ins Licht der Öffentlichkeit. Mit ihrem neuen Album ist Sinead O'Connor nun auf leiseren Sohlen unterwegs. ME/ Sounds-Mitarbeiterin Martina Wimmer ließ sich in Paris die Häutung erläutern.

Der Händedruck sitzt. Kaum zu glauben, daß diese zierliche Person derart zugreifen kann. Ihre wasserblauen Augen von der Größe eines mittleren Gebirgssees blitzen unter dem Schutz einer gefütterten Ohrenklappenmütze hervor.

Ihre Kraft hatte die 23jährige Irin 1988 bereits mit dem Debüt THE LION AND THE COBRA bewiesen. Bewaffnet mit Bomberjacke und losem Mundwerk, polterte Englands Lieblings-Rabauke durch Interviews, nannte ihren Mentor Bono „ein dummes Stück Scheiße“, beschimpfte U2 als aufgeblasenen Business-Apparat ohne Substanz und sympathisierte öffentlich mit der IRA. „Ich habe damals viele Sachen gesagt, die ich heute nie mehr so formulieren würde. Ich war unerfahren und spontan und habe eine Menge Mist von mir gegeben.“

Für die Medien war das Bild perfekt: ein kahlrasierter Frauenkopf in Männerkleidern mit starken Sprüchen auf den Lippen – wie geschaffen, der Bilderbuch-Rebell des Jahres 1988 zu sein. „Ich konnte mit dem Image, das sich die Leute von mir machten, nie etwas anfangen. Ich bin kein aggressiver Mensch, die Welt wollte mich nur so sehen. Die meisten Journalisten sind Männer, die hatten wohl Angst vor mir, weil ich nicht nett lächelnd mit blonden langen Haaren vor ihnen saß und das Dummchen spielte. Männer können mit intelligenten Frauen nicht umgehen, weil sie selber ziemlich dumm sind.“

1990 hat sich der englische Blätterwald eine neue Sinead gebastelt. Und wieder paßt alles zusammen. I DO NOT WANT WHAT I HAVE NOT GOT ist der programmatische Titel ihrer neuen LP, und gleich der erste Titel konstatiert: „Feel So Different“. Durch einen warmen Rotfilter hindurch blickt Sinead offen und natürlich vom Cover, wo sie noch vor zwei Jahren auf ihrer Debüt-LP in kaltem Weiß mit verzerrtem Gesicht die Fäuste gegen die Welt ballte. Das zweite Album entführt seine Hörer mit leisen Tönen voll sakraler Andacht in eine neue schöne Welt.

Im März ’89 hatte Sinead Schlagzeuger John Reynolds, den Vater ihres zweijährigen Sohns, geheiratet. Für die britische Musikjournaille lag die Erklärung daher auf der Hand: Als Heimchen am Herd hat der Trotzkopf den Weg zur Innerlichkeit gefunden. Sinead sieht das lächelnd etwas anders: „Ich bin glücklich, daß ich John und Jake habe, das hält mich am Boden. Und, so seltsam das klingen mag: Meine Familie gibt mir eine Freiheit, die ich sonst nirgends finden kann.“

Der seltsame Ohrenklappenhut ist neben ihr aufs Sofa gewandert, fünf Millimeter Haar sind wie Gras über die Wut vergangener Tage gewachsen. Der Widerspenstigen Zähmung hat jedoch nicht so stattgefunden wie sich das mancher (männliche) Griffel zurechtgeschnitzt hat. Sinead hat in den zwei Jahren kein neues Ich in einer traditionellen Frauenrolle gefunden, sondern schlichtweg ihre Weiblichkeit entdeckt.

Aus dem Lächeln wird ein begeistertes Strahlen: Ja, ich fühle mich viel weiblicher als damals. Ich trage sogar ab und an Make Up und habe zum ersten Mal Spaß daran, mich wie eine Frau anzuziehen, wie eine Frau zu benehmen. Einige Lieder auf der neuen LP handeln von Erfahrungen, die nur eine Frau machen kann, von Gefühlen, die nur eine Frau verstehen kann. “ Und die wahrscheinlich kaum eine Frau musikalisch so eindrücklich verpacken kann wie Sinead O’Connor. „Ich bin ein wenig übersensibel. Ich glaube, ich fühle Dinge intensiver, ob es Glück oder Schmerz ist.“

Ihre Musik dient ihr dabei immer schon als wirkungsvolle Selbsttherapie. Als sie sich Hjährig auf der Flucht vor den Ehestreits ihrer Eltern den Frust von der Seele schrieb, war der Gedanke an Geld und Publikumsgunst weit weg.

Auch heute will Sinead mit der geschäftlichen Seite ihres Berufs möglichst nicht belästigt werden: „Es widert mich an, wie geldbezogen diese Branche ist. Die meisten Leute sind aus den falschen Gründen im Geschäft. Mitläufer wie etwa Kylie Minogue sollte es einfach nicht geben. Sie hat kein Recht dazuzugehören, kein Recht zu existieren. Das ist nicht persönlich gemeint, ich habe die Frau noch nie getroffen, sicher ist sie ganz nett. Aber sie ist ein Produkt, kein Künstler. Eine Plastikpuppe, die auf Knopfdruck singt.“

Ehrlichkeit ist ein großes Wort in ihrem Wertesystem. Eine Träne im herzerweichenden Video von „Nothing Compares To You“ kann da schnell zum Zankapfel werden. Fake oder echte Salzlauge? Operiert sie mit gespielter Mega-Sentimentaliät – und das auch noch so überzeugend, daß sie die ganze Welt zum Schmelzen bringt?

Sinead holt tief Luft und funkelt gefährlich mit dem strahlenden Blau. Angriffe auf ihre Person machen sie in Sekundenschnelle wieder zum 21jährigen Trotzkopf, einstecken will sie nichts mehr. „Was für ein Blödsinn, dieser Aufruhr um die Träne! Als ob man Tränen spielen könnte! Ich habe in dem Video geweint, ohne Augentropfen und solchen Mist. Und wenn ich Angst hätte, sentimental zu wirken, halte ich wohl kaum dieses Lied aufgenommen.“