Kritik

„Sky Rojo” (Staffel 1) auf Netflix: Bei dieser brutalen Irrfahrt bleibt die Substanz auf der Strecke


Die „Haus des Geldes“-Macher*innen liefern Nachschub. Ihre neue Serie „Sky Rojo“ taumelt allerdings als unentschlossener Genre-Mix durch die Wüste von Teneriffa. Das Ergebnis ist eine eher lauwarme Mischung.

Für die drei Prostituierten Coral (Verónica Sánchez), Wendy (Lali Espósito) und Gina (Yany Prado) ist der Club „Las Novias“ Zuhause, Arbeitsplatz und Gefängnis zugleich. Zwar bezeichnet sich das Etablissement selbst als Edelbordell und extravagante Strip-Bar, doch die widerlichen Wünsche der Männer lassen eine solche Deutung nicht zu. Auch ihr Zuhälter und Chef Romeo (Asier Etxeandia), der sich gern als Gönner in Szene setzt, ist nüchtern betrachtet ein brutales und herrisches Ekel, das seine Macht unverhohlen ausspielt. Ein unbeabsichtigter Zwischenfall, in den Wendy, Coral und Gina verwickelt sind, ermöglicht es ihnen, ihre Freiheit schneller zu erlangen als erwartet. Doch damit fangen die eigentlichen Probleme erst richtig an.

Telenovela brutalo

Um es vorwegzunehmen: Mit Samthandschuhen wird in dieser Serie niemand angefasst. Serienschöpfer Álex Pina und Autorin und Produzentin Esther Martínez Lobato, die mit „Haus des Geldes“ einen Meilenstein der Seriengeschichte geschaffen haben, setzen in ihrem neuen Projekt auf derbe Sprache, harte Schläge und jede Menge Brutalität. Wer subtile Kost erwartet, die mit cleveren Dialogen überzeugt, oder zumindest eine Metaebene zum Gezeigten sucht, wird enttäuscht. Hier regiert die reine Lust an Schauwerten.

Die 20 besten Filme für Quentin-Tarantino-Fans

Ob es rohe Gewaltszenen, permanent leicht bekleidete Damen oder als Hilfeschrei verkleidete Drogenexzesse sind: Der Weg, den die beiden Serienschöpfer*innen einschlagen, verläuft kilometerweit von ihrem verschachtelten Bankräuber-Epos. Es ist gut, wenn sich kreative Köpfe neu erfinden, doch hier hat man sich offenbar in einer Gewaltspirale verheddert, die zwischen Quentin Tarantino und Robert Rodriguez baumelt. Der Club wirkt wie ein Anbau des „Titty Twisters“ aus „From Dusk Till Dawn“, die Drogeneskapaden von Coral könnten aus „Pulp Fiction“ stammen und die taffen weiblichen Charaktere lassen Erinnerungen an „Jackie Brown“ wach werden. Würde sich nicht die Schwere der Hintergrundgeschichten der Frauzen unpassend dazwischen drängen, ließe sich noch akzeptieren, dass „Sky Rojo“ einfach ein poppiges Guilty Pleasure ist.

Planlos durch die Wüste

Je 25 Minuten dauern die einzelnen Folgen der ersten Staffel, die die Zuschauer*innen atemlos durch die Story hetzt. Die Ermüdungserscheinungen machen sich jedoch schnell bemerkbar. Schon in den ersten vier Folgen feuert die Serie aus allen Rohren, die Effekte sind jedoch schnell abgenutzt. Wenn die Zuhälter-Assistenten Moisés (Miguel Ángel Silvestre) und Christian (Enric Auquer) immer wieder blinde Gewalt walten lassen, ist das bald nicht mehr schockierend, sondern nur noch stumpf. Auch die schwarzhumorigen Szenen, in denen die drei Ladys versehentlich ihre Puffmutter überfahren oder beim Tierarzt nach medizinischer Hilfe suchen, wirken im ersten Moment noch – aber nur weil das Publikum nicht weiß, wo die Reise hingehen soll. Je weiter man ihnen allerdings folgt, desto klarer wird: Hier weiß niemand so genau, wo es eigentlich lang geht.

„Sky Rojo“ offenbart aber noch ein ganz anderes Problem. Mit der Wahl der Hauptcharaktere, die tief in ihrem Inneren selbstbewusste Frauen sind oder waren, bietet das Drehbuch grundsätzlich die Möglichkeit zu zeigen, wie sich Wendy, Coral und Gina gegen ihre Zuhälter auflehnen. Stattdessen ist ihre Taktik ein einziger Fluchtreflex ins Nirgendwo – auf einer Insel, von der es vorerst kein Entkommen gibt. Die empowerten Frauen, die zu Werbezwecken in den Fokus gerückt wurden, sucht man in der Serie vergeblich. Fliehen, verstecken und bei angeblich helfenden Freiern um Unterstützung bitten: ein Plan, der nicht aufgeht und den falschen Ansatz verfolgt.

„Wonder Woman 1984“ auf Sky: Feministische Ikone mit fragwürdiger Botschaft

Die grellbunte und schnelle Serie mit witzigen Dialogen und krassen Figuren ist „Sky Rojo“ daher nicht. Hohe Erwartungen, die Álex Pina im Vorfeld geschürt hat, dürften bei vielen Zuschauer*innen nicht erfüllt werden. Eine Serie darf mit einfachen Mitteln unterhalten, sie kann auch Klischeerollenbilder zelebrieren. Wenn sich aber nicht einmal die Mühe gemacht wird, den großspurig inszenierten Knalleffekten eine solide Story entgegenzusetzen, dann verebbt die Lust am Dranbleiben im Wüstensand.

Staffel 1 von „Sky Rojo“ ist seit dem 19. März 2021 bei Netflix verfügbar.

Netflix