Tanz den Dalai Lama


Tekkno ist tot, es lebe der Trance Dance. Die harten Zeiten auf dem Tanzboden sind vorbei, elektronische Rhythmen wabern neuer- dings in anderen Sphären. Mit Sitar-Klängen und Key- board-Dröhnung erleben Clubgängerden kollektiven Sinnesrausch. New Agein der Disco: Es herrscht wieder Frieden im Land.

Berlin im Winter: die Hauptstadt als Schlammloch. Bei Einbruch der Nacht huschen die letzten Mitarbeiter der Treuhand-Anstalt aus ihren Büros nahe dem Potsdamer Platz in ihre Autos — Überstunden in Boomtown. Schräg gegenüber, an der Mauer eines heruntergekommenen Gebäudekomplexes, prangt in schwarzen Lettern ein Wort: „HARTCORE“.

Ein Stück deutsche Musikgeschichte: bis zum letzten Sommer verbarg sich hinter diesem Graffiti der härteste Dance-Club der Welt. Im „Tresor“ tobte Techno, bald Tekkno genannt, brutaler und umbarmherziger als irgendwo sonst. Mit Groove hatte der Bretter-Beat soviel zu tun wie Feuer mit Wasser. Aber an diesem Abend erinnert nichts mehr an die martialischen Roboter-Parties. Der „Tresor“ selbst ist geschlossen, im Erdgeschoß versorgen die DJs der britischen Crew „Massive Attack“ ihre Crowd mit weichen und souligen Beats. In der ehemaligen Stahlkammer der Nation hat sich Wärme ausgebreitet. An Tekkno denkt hier niemand mehr. „Wir wollen wieder phantasievolle und warme Musik spielen“, sagt Betreiber Armin Kohlberger. „Es gibt ja schließlich auch noch Soul, House und Hip Hop — Clubmusik. „

Damit dürfte sich die Party-Stätte in der Leipziger Straße erneut auf der Höhe der Zeit befinden. Zwar bietet die Techno-Szene ein ungefähr so homogenes und vom Geist der Liebe beseeltes Bild wie „das ¿ r

ehemalige Jugoslawien“ — aber eine Erkenntnis verbindet die Fraktionen: Es hat sich ausgebrettert.

Weitere Hammer-Schuppen wie der Berliner Tagesclub „Walfisch“ haben ihre Pforten geschlossen. Der Frankfurter DJ Sven Väth, lange Zeit ein Meister der fiesen Töne, brachte mit .Accidents In Paradise“ ein kontemplatives Album mit fernöstlichen Klangcollagen heraus. In früheren Hochburgen wie dem Berliner „Planet“ und dem Kölner „Space Club“ ziehen weichere Töne eine neue Generation heran. Techno light, auch Trance genannt, ist heute schon jeden Freitag festes Programm im Berliner Club „Apollo“. Selbst das Zentralorgan der Hartcore-Dogmatiker, das Fanzine „Frontpage“, hält die Post-Techno-Ära für angebrochen: „Der Rausch ist vorbei. Musikalisch ist die Situation momentan vergleichbar mit der, als die Acid-House-Bewegung den Bach herunterging. „

Katerstimmung und die hektische Suche nach neuen Nischen kennzeichnen die Lage. Die Aktivisten distanzieren sich auch deshalb vom Begriff „Techno“, weil sie ihn an die Massen verloren haben. Jede Dorfdisco spielt zwischen Westernhagen und U2 auch mal „Das Boot“ von U 96 oder den „Techno“-Remix der Pippi-Langstrumpf-Melodie. Sampler mit dämlichen Titeln wie „Pure Energie 92“ oder „Essence Of Dance“ bringen die größten Hits von „James Brown Is Dead“ (L.A. Style) bis „Dominator“ (Human Resource) noch einmal im Schlußverkauf unter die Leute. Die HiFi-Abteilung eines großen Kaufhauses schimpft sich neuerdings „Techno-Markt“, Mainstream-Produzenten wie Harry Reilinger und Uli Fischer nennen sich ungestraft „Techno Cop“ und wärmen alte Harold-Faltermeyer-Hits wieder auf.

Der Mechanismus, der bisher noch jede Subkultur um die Ecke brachte, hat in kürzester Zeit auch Techno dahingerafft: Wenn eine Musik innovativ und zeitgemäß ist, wird sie populär. Was populär ist, kann nicht mehr innovativ und zeitgemäß sein. So war es in den 60er Jahren, so war es bei Punk und New Wave. Doch die verkaufte Unschuld ist der Underground sicherlich nicht: Geschäftstüchtige DJs und Veranstalter haben Techno auf Massenveranstaltungen wie der „Love Parade“ und dem Hallen-Rave „May- ¿

day“ marktschreierisch aufgepumpt.

„Der erste Mayduy vor einem Jahr m Berlin war der Anfang vom En’le“, klagt der ,.Tresor“-Betreiber Kohlberger. Sven Väih. mit seltsamen Space-Oullits zum Popstar dieser Riesen-Feten avanciert, distanziert sich heute davon. Dem letzten Mayday blieb er demonstrativ fern: „Die ganze Vermarktung stört mich — das T-Shirt zur Party, die CD zur Party, das Poster zur Party. Ich bin ein Club-DJ und bediene heute lieber meine Cnnvd im .Omen‘ als irgendwelche Massen. „

Auch die jährliche“.Love Parade“ über den Kudamm, im Sommer letzten Jahres endgültig zum Medienereignis verkommen, gilt inzwischen als Kommerz-Karneval. „Von mir aus könnte sie auch Haie-Parade heißen“, meint Berlins Star-DJ WestBam. „Vor zwei Jahren war das noch ein wunderbares Ereignis, dus wirklich Spaß gemacht hat“, findet Beate Geibel vom Frankfurter Dancefloor-Label „Logic“. Jetzt ist die Sache gelaufen — eine abgeschmackte Verkaufsveranstaltung. „

Impresario Jürgen Laarmann, der seit einiger Zeit als Veranstalter der großen Techno-Events auftritt, wehrt sich gegen die Vorwürfe, er verschachere eine Innovation: „Natürlich verdienen wir Geld damit — aber wir tragen ja auch dus Risiko. Wenn ein Trend mal viele Leute erreicht hat, muß eben in größten Maßstäben gerechnet werden. „Die sind inzwischen ähnlich groß wie bei einem Genesis-Konzert: Auf dem Plakat stapeln sich die Sponsoren, die ,.Mayday“-CD ist schon Wochen vor der Party im Handel.

Etwas nachgeholfen haben beim Ende eines Trends auch die traditionellen Feinde jeder Subkultur: die Institutionen des Staates. Im Polizei-Paradies Bayern beispielsweise läuft eine regelrechte Hatz gegen Clubs und Raver. Argument: Gerade die Techno-Szene sei ein Kristallisationspunkt des Drogenhandels und -mißbrauchs. Musik-Experten im Bayerischen Landeskriminalamt wollen erkannt haben, daß „die Techno-Welle, von England ausgehend, auch in deutsche Großstädte überschwappt“. Aber mir san mir, und soweit kommt’s noch. Konsequenz: „Seit Mitte des letzten Jahres sind bei der Staatsanwaltschaft München I Ermittlungsverfahren gegen verschiedene Personen aus der Techno-Szene anhängig.“

Großrazzien in den Münchner Clubs „Babalu“ und „Pl“ waren nur der Anfang einer Behörden-Kampagne, die in ihrer Härte dem Vorgehen der britischen Polizei gegen Rave-Parties vor eineinhalb Jahren um nichts nachstand. Inzwischen greifen die Wirte der einschlägigen Clubs zu vorsorglichen Selbsthilfe-Maßnahmen. Constantin Wahl, Pächter im bislang von Razzien verschonten Münchner Nacht-Tempel „Park Cafe“, wies seine Türsteher an, in halbstündigen Abständen auch die Toiletten des Clubs zu kontrollieren. Besonderes Augenmerk sollten sie darauf richten, daß bei der optischen Kontrolle hinter den Tiirschlitzen immer nur zwei, auf keinen Fall aber vier Füße zu sehen sind. Schon am ersten Abend wurden die Klo-Schnüffler fündig. Sie entdeckten zwei Paar Schuhe, schlössen die Tür von außen auf und erschreckten das schmusende Paar, das in den verdächtigen Schuhen steckte.

Aber nicht nur im restriktiven München erregen die Bretter-Beats die Aufmerksamkeit öffentlicher Sittenwächter: Auch in Mainz. Köln und anderen Städten interessiert sich die Polizei für den Zusammenhang zwi- ¿

sehen Techno und der synthetischen Droge „Ecstasy“.

Dabei sind Drogen auch im harten Kern der Tanz-Szene wahrlich nicht unumstritten. „Ich toleriere es, wenn Leute das Zeug nehmen“, meint dazu WestBam, „aber es ist nicht unbedingt nötig, um tanzen zu können.“ Sein Kollege Cosmic Baby bezeichne! sich als „Nicht-Drogen-Iknutzer. Deswegen werde ich schneller müde als andere. “ Kein Grund zur Verzweiflung. Baby. Schließlich gibt es mit dem inzwischen bundesweit erhältlichen Guarana-Pulver ein prima Hilfsmittel, um beim Plattenauflegen auch zu extrem fortgeschrittener Stunde nicht einzuschlafen. Und das, ohne dabei Angst haben zu müssen, mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen.

XTC hin. Repression her—wie geht’s nun musikalisch weiter? „Forward Ever, Backward Never“

überträgt WestBam einen alten Ulbricht-Spruch ins Techno-Deutsch — aber in welche Richtung geht es voran? Nachdem“.das große Ding“ beerdigt ist, wird jetzt fleißig aufgesplittet. Ganz am rechten Ende des Techno-Universums zum Beispiel wird die Härte auf die Spitze getrieben: „The Sound Of Rolterdam“. eine Zeitlang wohl eher aus Unkenntnis als Avantgarde gefeiert, stammt aus der niederländischen Hooligan-Szene. Der“.Song“, via kunterbuntem Computer-Video auch zu mehrmaligen MTV-Sende-Ehren gekommen, besteht nur noch aus einem einzigen Geräusch: Poing. Hm Sound, der mehr als nur reduziert ist — er ist stumpf und primitiv. Genau die richtige Musik also, um auch die glatzkopfige ,.Oi!“-Gemeinde technomäßig anzumachen.

Labels wie das Frankfurter „Hardhouse“ produzieren dagegen weiterhin unorthodoxe Tracks für den Underground. „Gabberhouse“, „Breakcore“, „Metal House“ oder“.True House“ heißen die neuen Mini-Trends. Zum offiziellen Nachfolger des Maxi-Trends aber wird seit einiger Zeil“.Trance“ ausgerufen: Eine ruhige, melodiöse House-Variante, die mehr mit Tangerine Dream und Brian Eno zu tun hat als mit Nitzer Ebb und Front 242.

Den Kurswechsel auch verdienter Hardcore-Veteranen deutet Sven Väth auf dem Cover seines neuen Albums an: Er entrichtet Credits an David Sylvian, Peter Gabriel. Holger Czukay. Vangelis, sogar Andreas Vollenweider — allesamt Meister des synthetisch wabernden“.Klanggemäldes“. Jetzt schwimmt auch Väth in der Synthie-Soße der 70er, kombiniert indische Sitar-Klänge und allerlei Natursounds mit Techno-Beats. Der Frankfurter selbst meint es mit der tanzbaren Indien-Reise seines Albums „Accident In Paradise“ jedoch verdammt ernst, er ist auf dem Goa-Trip:“.Man darf‘ sich üoa nicht als Techno-Touristen-Paradies vorstellen“, schrieb er für die“.Musiken-Ausgabe von ME/Sounds. „Goa ist nicht Ibiza, sondern ein Ort mit einer unglaublich relaxten Stimmung, an den seit 211 Jahren minier wieder Hippies kommen. „

Hippies, Übriggebliebene wie jung Dazugekommene, geislern schon seit einigen Jahren vereinzeil durch die Clubs auf der Suche nach DJs, die ab und zu einmal eine „Ambient House“-Scheibe auflegen. Die durfte man auch auf Tekkno-Parties hören, dort hatten sie aber eher die Funktion des ChillOut. des Herunlerkommens nach dem Härte-Rausch. Ambient House kommt deshalb auch oft ohne Bassdrum aus. Trance kaum: Die neue Richtung basiert auf dem Tanzbeat und ist eigenständiger — nicht als Ausklang einer Bretter-Nacht, sondern als deren Ersatz. Gefeierter Trance-Protagonist isl der Berliner DJ Cosmic Baby. Mit seinen Auftritten, die er teilweise durch ein Ballett optisch ergänzt, ist er in ganz Europa gefragt. E : .r legt Wen darauf, daß er nicht „auflegt“, sondern „auftritt“: Ais gelernter Pianist, der zehn Jahre am Nürnberger Konservatorium Klassik studierte, misehl er nicht, er musiziert. Sein Album „Stellar Supreme“ spielt mit Harmonien. Themen und Rhythmen, löst die strengen Techno-Strukturen auf.

Trotzdem will er sich nicht als Anti-Brett-Speerspitze mißbrauchen lassen:

„Ich halte nichts von dieser Trend-. Macherei. Wenn jetzt Trance das neue Ding ist, wird es in einem halben Jahr wieder out sein. Die verschiedenen Formen der Housemusik können nebeneinander existieren. „

Aber auch andere Plattenaufleger lösen sich aus der Hartcore-Front heraus — wie etwa Cosmics Berliner Kollege Dr. Motte, der auf seinem Debütalbum „Eurorhythm“ in sphärischen Klängen versinkt. Nach eigenen Worten sollen diese sogar „heilende“W kung entfalten — denn was wäre ein neuer Trend ohne eine gesamplete Ideologie dazu? Maßstäbe in dieser Richtung setzt das Frankfurter Label „Recycle or Die“, das mit Trance das Ende einer „2000 Jahre allen Kultur der Ratio“ gekommen sieht. Und zwar sofort: „Wenn alle Geister tot sind, geht die Welt zu den Geistern. “ Trance ist. darunter macht man’s nicht, naiürlich eine „Musikrevolution“, von der dann auch ganz vernunftfrei behauptet werden darf, sie siehe „der Kunst näher, als manchem lieb ist.“

Weniger dogmatisch und stattdessen selbstironisch gehen die Briten mit der neuen Trance-Kultur um. „The Orb“. das Projekt des Ex-Punks Alex Paterson. recyclet neben den psychedelischen Bilderbögen der Hippie-Ära auch die Haltung dieser Zeit: Offenheil für neue Erfahrungen, Suche nach Erweiterung.

Aber Paterson achtet darauf, daß alle ihren Spaß haben und weiß, daß Begriffe wie „Space“. „Arid“ oder „Trance“ nichts anderes sind als bunte Brausebonbons. Er trieb die Second-Hand-Philosophie des neuen Zeitalters ironisch auf die Spitze, indem er Kritiker, die zur Begutachtung seines ersten Albums „Adventures beyond the Ultraworld“ angereist waren, in „Rebirthing Tanks“, d. h. in Wannen mit Salzwasser einlagerte und „The Orbs“ Space-Sound in angenehmer Lautstärke an ihnen vorbeiziehen ließ. Dort warteten sie dann geduldig darauf, daß ihr Bewußtsein sich erweitere.