Ted Gaier über Pop und Nation


Ted Gaier kann sehr wohl relaxen. Er legt die nackten Füße hoch in seinem WG -Zimmer mit Blick auf die Reeperbahn und redet. Darüber, daß er Fragezeichen setzen will. Anregung, Bewegung, Verunsicherung – versus Gewißheiten und Identität. Kann man alles bekommen vom Gaier. Seit Mitte der 8oer Jahre spielt er mit Die Goldenen Zitronen, der großartigsten und bissigsten Rasselbande weit und breit, die den Punk radikal weiterformuliert hat, als das alte Publikum immer nur die alten Schlager forderte. Auch mit den Les Robespierres pokert er gerne konzeptionell. Im Schwabinggrad Ballett, einer „surrealen Aktivistengruppe“ aus autonomen Linken, Künstlern und anderen Leuten, hilft er Free Jazz, Jahrmarktsmusik und mehr zu einem Agitprop-Gebräu zu vermengen, das die Leute mit nur noch mehr Fragezeichen hinterläßt. Und mit der Mod-Cover-Truppe Three Normal Beatles findet er etwas Freiheit vom Rest. Der da noch ist: viel Theatermusik, „feuilletonistisches Herumgeschreibe“, Musikvideo- und Kurzfilm-Produktionen, ein Film („Hölle Hamburg“) in Entstehung über Geister und kommunistische Zellen. Ted Gaier ist ein Linker in stetiger Bewegung. Und Ted Gaier ist einer, der zum Thema „Pop und Nation“ einiges zu sagen hat. Natürlich bleiben da auch ein paar Fragezeichen. Aber man darf es ruhig glauben: Das ist okay so.

Wie kamen Die Goldenen Zitronen dazu, bei dem Sampler „Cant relax in Deutschland“ (siehe auch Seite 15 -Anm. d. Red.1 mitzumachen?

Wir sind gefragt worden, und es war klar, daß wir da mitmachen. Aber ich muß sagen, daß wir es ziemlich nervig finden, schon wieder damit konfrontiert zu sein. M itte der 90er war die Deutschquote ja schon mal dasThema. Damals waren wir uns einig, so einen idiotischen Vorschlag nicht noch weiter zu hypen, indem wir ihm zu viel Aufmerksamkeit schenken. Wir meinten, wir lassen das einfach verebben, das nimmt sowieso keiner ernst.

Eine Annahme, die Mitte der 90er ja auch noch weitgehend stimmte.

Ich weiß nicht, woran es lag, daß Heinz Rudolf Kunze damals relativ schnell alleine dastand. Zu der Zeit stand die Debatte um alles Nationale stark unter dem Eindruck von Rostock-Lichtenhagen und diesen Sachen. Zum ersten Mal wurden in der Linken einige Dinge in einem anderen Licht gesehen als vor 1989. Man hatte zum Beispiel dazulernen müssen, daß Befreiungsnationalismus nicht unbedingt etwas Emanzipatorisches darstellt- und noch einiges mehr. In unseren Zirkeln war die Deutschquote nicht nur vor diesem Hintergrund auf jeden Fall völlig absurd.

Die Quoten-Forderung wurde damals schon heil) diskutiert – blieb aber folgenlos. Da tag die Sache im September 2001, mit dem erneuten Vorstoß von Inga Humpe, Jim Rakete und Co. in einer Sitzung des Bundestags-Ausschusses für Kultur und Medien anders: Mit der Empfehlung einer Deutschquote für Radiosender eine gesetzliche Bestimmung war rechtlich auch nicht so einfach durchsetzbar – kam die Initiative einen wesentlichen Schritt weiter. Zudem wird der gegenseitige Bezug von “ deutschem Pop “ und nationalen Fragen inzwischen weitaus intensiver diskutiert.

Bei der ersten Initiative Mitte der 90er hatten ja weitgehend Altrocker unterschrieben .Sie hatten wohl einfach das Gefühl, daß ihnen die Felle wegschwimmen. Das war vielleicht eine Reaktion auf die zunehmende Bedeutung von Techno und überhaupt elektronischer Musik. Heute funktioniert das anders. Wenn man sich anguckt, wer da unterschrieben hat, sieht man neben Altrockern, Liedermachern und Neorockbands eben auch Inga Humpe, die für elektronische Musik steht, die im Mainstream angekommen ist, und Leute wie Jan Delay. Bei seinem ausgeprägten Bewußtsein für Style und seiner Sympathie für die RAF sollte man eigentlich meinen, er würde sich nicht mit so uncoolen Leuten wie Heinz Rudolf Kunze und Reinhard Mey in ein Boot setzen.

Die Grenzlinien von früher sind offensichtlich nicht mehr so eindeutig und klar zu ziehen.

Früher war klar: „Deutsch ist uncool“. Dabei hatte ich als Jugendlicher sogar ein Bundeswehr-T-Shirt mit dem Bundesadler drauf. Doch da war klar: Es geht nicht um einen ernsthaften Bezug. Im Gegenteil: Das hat die Leute, die sich damit identifizieren, auch noch genervt, wenn ein Typ mit bunten Haaren den deutschen Adler trägt. Doch inzwischen ist dieser unausgesprochene Konsens auch unter jungen Musikern einfach verschwunden. Das kann man bemängeln und auf Bands wie Mia rumhacken. Die Empörung über die ist auch völlig okay, nur spricht man in so einem Fall gar nicht die gleiche Sprache. Vielen von diesen Bands und auch einigen Designern, die da in Berlin rumbohemen, ist überhaupt nicht klar, warum Schwarz-Rot-Gold nicht auch Pop sein kann – wie der Union Jack oder Stars’n‘ Stripes oder eine Kuba-Flagge.

War Mia ein besonderer Fall für die Linke, weil…

Ich bin ja nicht „die Linke“. Ich habe ja auch einige abweichende Meinungen … Das betrifft zum Beispiel auch den Samplen can’trelaxin Deutschland:

Den Titel finde für meinen Teil eher ungeil. Die Frage nach dem „Relaxen“ stellt sich so gar nicht. Relaxen ist im Kapitalismus eh nicht. Besser wäre: „Nation hat im Pop nichts zu suchen“ oder „Laß mal stecken, Deutschland!“. Wir haben Anfang der 90er Konzerte unter dem Motto „Etwas_ besseres als die Nation“ gemacht.

Aber solche Details sind kein Grund, eine ganze Aktion in Frage zu stellen…

Ja. Das sind halt so Sachen, die man lernt, wenn man im linksradikalen Milieu lange unterwegs ist. Die Schnittmengen mit anderen Leuten müssen ja nicht so absolut sein, daß man nur mit Leuten zusammenarbeitet, mit denen man sich auch vorstellen könnte, in einer WG zu wohnen. Anfangs in der Hafenstraße wurden Die Goldenen Zitronen mit ihren Schlafanzügen und Glamrock-Klamotten auch nicht ernst genommen als „echte Genossen“. Aber das hat sich gelegt. Wir haben gelernt, die politische Solidarisierung eher an der Zielsetzung festzumachen als an Erscheinungsformen.

Eine solche andere Erscheinungsform war auch Blumfelds knappes Statement gegen die Vereinnahmung ihrer Musik für nationale Identität auf ihrer Homepage danach gab es von der Band dazu nichts mehr zu hören.

Ich denke, für Blumfeld ist die Situation unangenehmer, weil das, womit sie ästhetisch hantieren, viel vereinnahmbarer ist für Germanisten und Germaniker.

Nicht von ungefähr hat Heinz Rudolf Kunze ja auch schon Mitte der 90er Jahre versucht, Blumfeld auf seine Seite zuziehen…

Jaja, es ist auch sehr interessant, was Kunze in dieser Bundestags-Ausschußsitzung Jim Rakete fragte: wie es denn sein könne, daß es immernoch Künstler gibt, die Vorbehalte gegen die Quote haben. Antwort: Nun, da gebe es zum einen die unverbesserlichen Linken. Und dann gebe es eben Künstler, die Schwierigkeiten hätten, sich mit anderen zusammenzuschließen. Weil sie Berührungsängste hätten und Angst, ihre Außenseiterrolle zu verlassen. Rakete kann sich das alles offenbar nur so erklären, daß die Rebellen nicht herunterkommen von ihrem Rebellentum. Er denkt, es geht nur ums Profil, um ein Imageding.

Und selbst, wenn es so wäre, würde Jim Rakete doch auch verkennen, daß Pop tatsächlich auch..rebellisch“ bleiben sollte – über das Klischee hinaus…

Hm, das finde ich schwierig. Ich habe einmal einen Artikel über Grönemeyer und Westernhagen geschrieben. Und dabei ist mir aufgefallen, daß all diese Typen sich als Rebellen fühlen. Es ist ein konstituierendes Element auch für jeden Mainstreamrocker, sich als Rebell zu fühlen. Selbst Britney Spears hält sich für eine Rebellin, wenn sie „I Love Rock n Roll“ covert und auf der Harley siezt. Es geht im Pop gar nicht, sich nicht als Rebell zu fühlen.

Aber es gibt doch totsächlich auch Pop, der sich solchen immer wiederkehrenden Klischees verweigert oder sie bewußt bricht. Der also vielleicht tatsächlich rebellisch ist. Und sich deshalb eben auch gegen Vereinnahmung, auch die nationale, wehrt. Ob bewußt oder nicht.

Hm,… ich fand hierzu eine Aussage von Jan Müller (von Tocotronic- Anm, d. Red.) ziemlich gut. Ich habe ihn lustigerweise in den Tagesthemen gesehen. Er sagte, in seiner etwas schluffigen Art: „Für uns war Popmusik immer so ein Nation-freier Raum. „Also quasi „Urlaub von Nation“. Genauso sehe ich das auch.

Sprich: Ihr habt euch über all das gar keine Gedanken gemacht, bis euch von anderer Seite Definitionen aufgedrängt wurden.

So ungefähr. Die BRD war doch eh ein Witz. Es gab die Nation gar nicht als ernstzunehmende Größe. Vor 1989 glaubten wir, daß bestimmte Ästhetiken und Aktionsformen uns gehören: Rechte besetzen keine Häuser, machen keine Solikonzerte für Jugendzentren, keinen HipHop, keine Liedermachersongs. Doch mittlerweile mußten wir lernen, daß es für jeden alles gibt, jedem alles zur Verfügung steht – auch die Struktur eines Punksongs ist da nur ein leeres Gefäß.

Hat man sich deshalb im linken Spektrum zurückgezogen, gerade aus der Popmusik mit deutschen Texten, weil alle Symbolik ausgehöhlt war?

Das würde ich so nicht sehen. Es gibt immer wieder neue Bands, die etwas sagen wollen – Von Spar oder Die Türen zum Beispiel. Die eine klare Haltung und ein Bedürfnis haben, etwas zu formulieren. Es gibt bei ihnen auch klare ästhetische Merkmale, die zeigen, daß sie keine Karrieristen sind – und die stehen auch nicht auf Deutschland. Und singen auch nicht deutsch, weil sie das für ihren kulturellen Ausdruck halten. Denn es geht ja letztlich darum: Wir sind dagegen, daß auf eine subtile Art plötzlich Deutschsein cool werden soll – und daß man plötzlich von „meiner Kultur“ redet, in Verknüpfung mit Popkultur. Das ist ein unzulässiger Zusammenhang.

Warum?

Da wird zum Beispiel immer von einer Art amerikanischer Flut gesprochen – aber amerikanische Popmusik ist ja keine rein nationale Angelegenheit. Das ist Quatsch, denn sie kommt zu einem wesentlichen Anteil aus der afroamerikanischen Tradition. Wenn Thierse von „angloamerikanischem Müll“ und „Kulturimperalismus“ redet, bringt er das gleiche Vokabular an den Start, das die Liberalen im Gefühl kultureller Überlegenheit gegenüber der Bush-Regierung, also gleich gegen ganz Amerika, verwenden. Aber so funktioniert Popmusik doch nicht. Missy Elliott oder Eminem oder Strokes – das ist doch nicht die Musik der Bush-Regierung. Bemerkenswert ist außerdem die Gegenüberstellung von „angloamerikanischem Schrott“ und begabten deutschen Künstlern, denen der Weg verwehrt ist. Da wurde keinmal gefragt: Sorry, was meint ihr eigentlich mit „angloamerikanischem Schrott“? Es ist doch so: Die Hälfte aller Eurotrash-Produktionen auf VIVA sind deutsche Produktionen. Daß plötzlich alle, die deutsch singen, große Kunst machen, ist wirklich ein guter Gag.

Glaubst du, daß es jenen Musikern, die sich zuletzt wieder für die Quote eingesetzt hatten, in erster Linie immernoch ums Geschäft geht?

Bestimmt auch. Die Quote stellt ja auch einen Akt von Wirtschaftsprotektionismus dar. In der Kampagne spielten Produzenten und Verlagsleute eine große Rolle. Aber es geht vielen schon um die Emanzipation „deutscher Kultur“ gegenüber den Übervätern und -müttern USA und Großbritannien. Und auch um das Gefühl, benachteiligt zu werden, nicht genügend beachtet zu werden. Das Dummeist halt, daß das alles zusammen ein Bewußtsein produziert, das für einen Rückschritt steht.

Mit dem heute aber auch selbst viele junge Leute kein großes Problem haben.

Ich habe das immer als Luxus verstanden, daß es keine positiven Bezugspunkte beim „Deutschsein“ gibt, gerade als Jugendlicher.

Doch warum gibt es heute so viele junge Leute, denen die Nation wichtig zu sein scheint?

Letztlich färben Paradigmen Wechsel – hier vor allem die Verdrängung der 68er – eben auch ab auf junge Leute, die sich fragen: Was ist denn so uncool an Nation, Nation ist doch auch was geiles?! Es ist offensichtlich out, in Deutschland, mit seinen Spezifika, die Situation zu hinterfragen. Man will es jetzt einfach ganz normal haben, wie die anderen auch. Und das ist ein wahnsinniger Rückschritt.

Es ist trotzdem verwunderlich, daß sich junge Menschen freiwillig dem Nationalismus zuwenden. Erstellt doch eine ungeheure Einschränkung dar.

Mir ist es ein Rätsel. Zumal ich nicht verstehe, aus welchen nationalen Mythen sich dieses Deutschsein speist. In Frankreich ist dieser Mythos bei allem Generve wenigstens mit den universellen Werten einer Revolution verbunden. Aber hier? Und wenn es eh keine positiven Bezugspunkte gibt, warum machen sich diese aufgeklärten Nationalstolzler überhaupt die Mühe.

Es ist umgekehrt vielmehr an der Zeit, die Nation als solche abzustreifen.

Es muß also heißen:“ Jean can’t relax in nations“.

Genau. Vielleicht kann man in Deutschland besonders schlecht relaxen. Aber besonders relaxt empfinden meine französischen und US-amerikanischen Freunde ihr Verhältnis zu ihrer Nation auch nicht. Abgesehen davon finde ich unentspannte Musik aber eh die beste Musik – unser ganzes Werk wäre undenkbar ohne diese Unentspanntheit. Was wäre, wenn in Deutschland alles ganz dufte wäre und ich ganz relaxt?

www.diegoldenenzitronen.de