Kritik

„The Boys“ (Staffel 2): Reichen Terror, Nazis und Staatskrisen?


„The Boys“, Amazons monumentale Superhelden-Satire, geht in die zweite Runde. Zur Abwechslung vereinen sich die USA hinter einem gemeinsamen Feind aus dem Nahen Osten. Da helfen nur Superhelden zur Landesverteidigung, seien sie noch so labil.

Terroristen wüten in den USA. Besser gesagt, Terroristen mit Superkräften, ausländische, noch dazu. „Warum sollten wir immer mehr von ihnen ins Land lassen, wen jeder uns gefährden könnte?“, ruft Stormfront (Aya Cash), eine der neuen Heldinnen, der aufgebrachten Menge entgegen. Was nach altbackener Migrationsdebatte klingt, gerade in Coronazeiten, prägt die zweite Staffel „The Boys“. Sie will eine Parabel auf unsere Zeit, auf Fake News, Hetze und vor allem den Milliarden-Marvel-Zirkus sein.

Staffel 1 von „The Boys“ startete im Juli 2019. In der neuen Staffel mobilisieren die „Seven“, die Speerspitze der Superheld*innen, gegen ausländische „Superfeinde“, denn nichts vereint mehr als ein gemeinsamer Feind. Sie agieren unter dem Dach des Marvel-Verschnitts Vought, einem Milliardenkonzern, der in der ersten Staffel dafür kämpfte, seine eigenen Held*innen im US-Militär antreten zu lassen.

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Kein Wunder, dass die „Seven“ Terroristen nun im Nahen Osten das Wundermittel „V“ selbst spritzen und so den eigenen Gegner erschaffen, um alle von ihrer eigenen Notwendigkeit zu überzeugen. So weit, so absurd. Und so weit auch Anfang der 2000er-Jahre. Aktuell zündet das Terrorismus-Motiv auch in schickem „The Boys“-Gewand nicht mehr.

„The Boys“ als Charakterstudie

Vought jagen die Boys, die ihre persönlichen Gründe für den Hass auf die „Sups“ haben. In dieser Staffel versuchen die Macher, ihre Hintergründe zu vertiefen. Sei es Raubein Butcher (Karl Urban), der Ehefrau Becca (Shantel VanSanten) und ihren Sohn Ryan (Cameron Crovetti) aufspüren will. Auch Mother‘s Milk (Laz Alonso) würde gerne mal wieder seine Familie sehen. Tollpatsch und Publikumsliebling Hughie (Jack Quaid) weiß nicht recht, wie er zu seiner Geliebten Starlight (Erin Moriarty) steht.

Symptomatisch für die leider oft schiefe Charakterisierung: Wie beiläufig erzählt Hughie, dass ihn seine Mutter mit sechs verließ. Ihn treibt an, nicht wie seine Mutter zu werden. Nachvollziehbar, in einem Gespräch halbherzig rausgehauen aber auch dumpf. Zwar ist Hughie einer der sympathischeren Helden (ohne Super), aber da jede Figur von Geliebten, Vater, Mutter oder Kind getrennt ist, nimmt man diese gewollte Tiefe nicht ab.

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Als wäre das nicht genug, haben die „Seven“ Identitätsprobleme. Der Superman-Verschnitt Homelander (Antony Starr), stilecht mit USA-Umhang, lebte bisher einen Ödipuskomplex an seiner Vorgesetzten aus. Nun versucht er sich am Vaterdasein. Denn als er Butchers Frau Becca vergewaltigte, wurde sie schwanger – mit Homelanders Sohn. Bisher schienen Superhelden unfruchtbar.

Wie sich bei den Boys schon abzeichnete, verfehlt das Writing, wenn es nicht um Humor geht, oft das Ziel. Insbesondere Homelander ist sich für keine Plattitüde zu schade: „Firmen kommen und gehen, aber Talent bleibt“, erwidert Homelander Vought. „Ein Kind braucht seinen Vater.“ Oder auch: „Ich brauche niemanden außer mich selbst.“

Hughie derweil sorgt sich die Menschen zu verletzen, die er liebt. Denn schließlich liebe er Starlight. Das ist, direkt ausgesprochen, flapsig, fast schon fremdschämig. Und würde viel besser gemäß der alten Filmweisheit show, don‘t tell funktionieren. Subtile Botschaften sucht man hier vergebens. Aber das braucht es auch gar nicht, wenn „The Boys“ Spaß macht.

Manchmal macht die Serie Spaß

Das gelingt neben all den gewollten Identitätskrisen und Grauzonen nebenbei manchmal. Die neue Heldin Stormfront kommt Platzhirsch Homelander gefährlich nahe und wirbelt mit Blitzen umher. Wie sie Homelander wanken lässt, er mal nicht nur durch seinen überbordenden Narzissmus in Gefahr gerät, hilft seinem Charakter. In einem Gefängnis kommt es zu absurden Gewaltexzessen. Und rechtzeitig vor dem großen Finale ahmt die Serie – milder Spoiler – gar die „Red Wedding“ aus „Game of Thrones“ nach, nur mit weniger toten Hauptcharakteren. Ansonsten zerplatzt der eine oder andere Kopf. Splatter setzt die Serie selbstbewusst, beizeiten Tarantino-esque ein. Schauwerte gibt es also noch. Auch wenn die Superheld*innen nicht wie in Staffel 1 im Flugzeug abstürzen.

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Dazu verlassen A-Train (Jessie Usher), Starlight und Deep (Chace Crawford) mal mehr, mal weniger die „Seven“. Letzterer gerät nach seinem Rausschmiss in eine regelrechte Depression. Wie schon das Sexismus-Feigenblatt in Staffel 1 – Starlight als emanzipatorische Heldin, weil sie nur widerwillig ein kurzes Kostüm trägt – wirkt Deeps Therapie halbherzig und interessiert leider wenig. Der Aquaman-Verschnitt funktioniert am besten, wenn er mal wieder einen Delfin aus dem Zoo oder Krabben aus dem Supermarkt retten will und dabei kläglich scheitert. Deep als nahbarer Charakter in einer psychischen Krise, als „deeper“ Charakter, das nervt zuweilen.

Surfen auf dem Zeitgeist

Überhaupt nimmt sich die Serie in dieser Staffel leider zu ernst. Vielleicht wollte man sich bewusst von ironischen Marvel-Plots distanzieren. Doch Identitätskrisen links und rechts ziehen sich in den oft über einer Stunde langen Episoden. Und so clever wie die Handlung gerne tut, ist sie nicht. Im Kern handelt „The Boys“ von Rache. Dass diese Geschichte nicht im Marvel- oder DC-Universum angesiedelt ist und das eigene Genre mal aufs Korn nimmt, reicht nicht als Gütesiegel.

Nazi-Superhelden und Superhelden-Terroristen inmitten erratischer Hauptcharaktere, alles irgendwie in einen Showdown mündend – nein, so recht mag das nicht funktionieren. Auch weil „The Boys“ auf dem Zeitgeist surft und natürlich noch Rassismus, Deep Fakes und Diversity unterbringen muss. Eine aufstrebende Demokratin (Claudia Doumit) à la AOC darf dabei natürlich nicht fehlen, immerhin hier weniger offensichtlich als in Space Force. Und Seth Rogen darf auch noch mitmischen.

Fazit: Die Boys verrennen sich. All das umrahmt von Terroristen aus dem Nahen Osten, die die USA bedrohen, wirkt dann weniger frisch. Immerhin löst sich dieser schwache Plot noch lange genug vor dem Ende auf. Denn dann kommen irgendwann Nazis ins Spiel.

„The Boys“, Staffel 2, seit 4. September 2020 auf Amazon Prime Video im Stream verfügbar

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