The Pixies: Beach Boy aus Boston


Wer die Kultband aus Boston bislang unter "Underground" abgelegt hatte, muß die Etiketten neu beschriften. Pixies-Guru Black Francis (M.) verlegte seinen Wohnsitz nicht nur ins sonnige Kalifornien, sondern will künftig auch musikalisch andere Wellen reiten. ME/Sounds-Mitarbeiterin Martina Wimmer schwang sich aufs Surfbrett.

Stell dir vor, ich fahr da also mit meinem Cadillac voll beladen von El Paso rauf nach New Mexico. Mitten in der Wüste halten mich zwei Grenzpolizisten auf. Klarer Fall: Dickes Auto mit einem Nummernschild aus Massachusetts auf dem Weg von der mexikanischen Grenze nach Norden – da kann man den Kofferraum nur voll mit Drogen oder illegalen Einwanderern haben. Doch plötzlich stutzt der Eine und meint: ‚Ich habe dich doch in MTV gesehen. Bist du nicht der Sänger von den Pixies?‘ Ein stinknormaler Grenzpolizist! Als nächstes mußte ich mit dem Gewehr in der Hand posieren, und sie haben mich von allen Seiten fotografiert. Völlig verrückt, dieses Leben.“

Charles Thompson alias Black Francis schickt ein unverschämtes Grinsen über den Rand seines vierten Whiskeyglases. 1989 war ein gutes Jahr für die Pixies. Mit dem dritten Album Doolittle rollten sie Europa auf – und anschließend gar ihr konservatives Heimatland. Vor einem halben Jahr gingen die vier „Kobolde“ (Pixies) erneut ins Studio, um sich mit Bossanova endgültig als Indie-Institution zu etablieren. Promotion, Live-Tour, Studio-Stress – gilt der Alltagstrott des konventionellen Popstars jetzt auch für die Klang-Revoluzzer aus Boston?

Black Francis winkt gelassen ab: „Als wir letzten Herbst von der Tour zurückkamen, hab ich mich erstmal ins Auto gesetzt und bin nach Graceland gefahren – zu Elvis Geburtstag. Alle standen sie da und haben geheult, wahre Elvis-Fans. Wir hatten diese Pilze genommen und standen gerade in seinem Wohnzimmer, als sie zu wirken anfingen, ich kann dir sagen …“ Leuchtende Augen im rosigen Gesicht suchen nach dem Grund des Glases. Black Francis ist aussprachen guter Laune und wieder mal auf Urlaub. Seit vier Wochen durchquert er mit einem Mietwagen und Freundin Europa, Promo-Pflichten erledigt er gleich nebenbei. Und Standardfragen nach möglichem Erfolgsdruck rieseln an dem massigen Ami herab wie müde Sahnekleckse an einer prallen Götterspeise.

„Mein Gott, Druck hast du immer, wenn du ins Studio gehst. Kein Mensch will eine schlechte Platte machen. Wer Kompromisse eingeht, sollte lieber gleich nach Hause gehen und gute Platten anhören; das bringt fast genausoviel Spaß. Manchmal sogar mehr.“

Wenn er selbst Spaß haben will, vergräbt Black Francis seine Ohren am liebsten in vergangene Zeiten. „Ich höre mit Vorliebe Sachen aus den Sixties oder Seventies, Nancy Sinatra oder sowas, und vor allem Surf-Musik, die Ventures …“ Das Stichwort ist gefallen, und der kleine dicke Mann, der seinen Wohnort erst kürzlich an die surfende Westküste verlegte, redet sich in Rage. „Ich liebe Surf-Musik, und das solltest du unbedingt schreiben: Alle Bands, ob bekannt oder nicht, sollten definitiv mehr Surf-Musik machen. Wenn ich ein Ziel im Leben habe, dann ist es, dafür zu sorgen, daß es auf dieser Welt mehr Surf-Musik gibt. Nicht weil ich ein hoffnungsloser Nostalgiker bin, sondern weil Surf-Musik einfach gut ist. Dankeschön.“

Auf dem jüngsten Pixies-Album ist der mentale Wellenreiter seinem Lebensziel schon ein gutes Stück näher gekommen. Bossanova ist ein eigenwilliges Konglomerat aus schleimigen Shangri La’s-Gitarren und manischer Grobheit nach bewährter Pixies-Manier. Leicht verdaulich und brutal zugleich. Sind die Pixies dabei, ihren beinharten Fans der ersten Stunde die Popmusik schmackhaft zu machen?

„Vielleicht, wir stehen alle auf richtige Popmusik, Top 40 und so. Am Anfang haben wir nur Underground gehört, so fängt wohl jeder an. Aber irgendwann beginnst du über Melodien, Harmonien und Gesang nachzudenken. Es ist doch relativ einfach, Underground zu sein und sich bei jedem Lied die Seele aus dem Hals zu schreien. Aber es ist verdammt hart, richtig zu singen – und das auch noch gut. Ich wollte auf der neuen Platte mehr singen, mehr Popmusik machen. Außerdem bin ich der Meinung, daß die Dinge gar nicht so weit voneinander entfernt sind. Jede Musik funktioniert nach derselben Formel, und du kannst Nick Cave und Jason Donovan im selben Plattenladen kaufen. Wo ist da der große Unterschied?“

Gute Frage, fast so gut wie ‚Wer bin ich – und warum bin ich überhaupt hier?‘ Doch nach dem fünften Whiskey fallen Black Francis derartige Differenzierungen merklich schwerer, es sei denn im tiefschürfenden Gespräch mit dem deutschen Kellner: „Heißt das jetzt ‚Einmal Whiskey, bitte‘ oder ‚Einen Whiskev, bitte‘?“

Sein Umzug quer durch die Vereinigten Staaten war auch nur „so eine Idee. Ich wollte was anderes machen und verdammt nochmal aus Boston weg.“ Der einzige Unterschied zu früher: Die Produktion der neuen LP war wesentlich kostspieliger. „Wir mußten die ganze Band nach LA karren und dort drei Monate unterbringen.“ Es war die aufwendigste Produktion ihrer fünfjährigen Bandgeschichte – und trotzdem schwingt auf Bossanova zwischen der ungewohnt poppigen Leichtigkeit eine Menge unkontrollierter Spannung mit.

„Wir haben das Album unglaublich schnell aufgenommen, und ich stand unter dem Druck, in extrem kurzer Zeit eine Menge Texte zu schreiben. Ich bin der Typ, der alles auf den letzten Drücker macht – aber dieses Mal habe ich es fast übertrieben. Plötzlich standen wir in diesem tierisch teuren Studio, im linken Nebenraum Rod Stewart, rechts von uns Tiffany, und ich hatte keine Texte. Kein Wunder, daß manche Songs verzweifelt klingen.“

Mittlerweile hat er seinen Seelenfrieden wieder gefunden: „Diese Art von Verzweiflung macht mir Spaß, ich arbeite gerne so.“ Die konstruktive Panikmache ist der Motor seiner geballten Produktivität. Er schreibt im Alleingang Songs und Texte der Pixies und ist auch in allen anderen Belangen der uneingeschränkte Boß der Band. Kein Mensch, der ihn so entspannt und selbstzufrieden in seinem Sessel lümmeln sieht, würde das bezweifeln. Die Fronten sind klar: „Ich habe alles unter Kontrolle, ich bekomme mehr Geld als die anderen, ich gebe alle Interviews. Die Pixies sind meine Band.“

Diensthabende Pixies-Bassistin Kim Deal hat sich dafür ihren eigenen Ausgleich geschaffen. Zusammen mit weiblichen Kollegen aus den Reihen von Throwing Muses und Perfect Desaster tritt sie als Gitarristin und Sängerin der Breeders in direkte Konkurrenz zur Stamm-Band. Mastermind Black Francis kann das nicht aus der Ruhe bringen. „Kim hat mit den Breeders ein gutes Album gemacht. Solange es die Arbeit der Pixies nicht beeinträchtigt, kann bei uns jeder machen, was er will.“

Schließlich weiß der große Diktator, was er an seinem Mitstreitern Kim Deal, Joey Santiago und David Lovering hat. „Ich könnte sie nie davon abhalten, andere Dinge zu machen. Und wenn ich es versuchen würde, wäre es wohl der beste Weg, sie zu verlieren. Ich weiß, daß ich sie brauche, um diese Band zu machen. Die Pixies sind die Pixies, und das nur in dieser Formation. Alles andere wäre das sichere Ende.“

Gäbe es im Fall des Falles berufliche Alternativen? Black Francis fällt fast vom Stuhl vor spontaner Begeisterung: „O ja, bitte, bitte schreib das. Ich würde so rasend gerne jemand produzieren, aber keiner hat mich bisher darum gebeten. Schreib, ich warte auf Tapes aus aller Welt, von unbekannten und am liebsten richtig schlechten Bands. Ich mach es auch umsonst, für freie Kost und Logis.“

Auf zum Briefkasten, Jungmusiker dieses Landes, zwei Mark fünfzig sind bei diesem Mann gut angelegt. Bossanova ist der klingende Beweis.