Tom Petty: Der ewige Wilbury


Obwohl weitaus jünger als seine Kollegen von den Traveling Wilburys, versteht sich der 36jährige Petty selbst als Musiker der alten Schule, warum er seine Zukunft in der Vergangenheit sucht, erklärte er ME/Sounds bei einem langen Gespräch in Los Angeles.

Was haben eine Verkehrsampel und Elvis Presley gemeinsam? Nein, kein dummer Witz – beide hatten entscheidenden Einfluß auf die Karriere eines der letzten Rockstars alter Schule: Ohne Elvis wäre aus Tom Petty wahrscheinlich ein namenloser Farmer oder Profi-Trinker im Süden Floridas geworden; und ohne eine bestimmte Ampel in Los Angeles gäbe es heute weder das Album der Traveling Wilburys noch Pettys erste Solo-LP.

Petty war gerade 11 Jahre alt, als ihn sein Onkel zu den Dreharbeiten eines Elvis-Films mitnahm. Überall kreischende Mädchen, der King im weißen Cadillac: Klein-Tom war begeistert. Noch begeisterter war er, als ihm die Schwester eines Freundes einen Kasten alter Singles schenkte, unter anderem das gesamte Elvis-Frühwerk.

„Diese Singles haben mein Leben verändert“, erinnert Petty sich heute. „Ich habe damals noch gar nicht daran gedacht, selber Musik zu machen; ich wollte mir das einfach nur anhören und hab‘ rund um die Uhr diese Scheiben gespielt. Drei Jahre später kamen dann die Beatles nach Amerika, und da war’s soweit, da habe ich mir mit ein paar Freunden gesagt: ,Das können wir auch!'“

Der Rest ist Geschichte. Tom Petty gründete seine erste Band, spielte Stones, Animals, Beatles und Zombies nach, begann selber Songs zu schreiben und ging schließlich nach Los Angeles, wo er mit vier alten Freunden aus Gainesville/Florida die Heartbreakers formierte.

Acht Gold- und Platin-Alben später sitzt ein inzwischen 38jähriger Petty im MCA-Büro in Hollywood, raucht Marlboros und schlürft schwarzen Kaffee. Wenn er schon auf der Bühne oft leicht lethargisch wirkt – hier hat er die Ausstrahlung einer Klinik Packung Valium. Petty geht nicht, er schlurft und stolpert, als wären ihm die Beine eingeschlafen. Er redet langsam, gaaanz langsam, und hat die deutliche Aussprache eines Mannes, der sich gerade einen Viertelpfünder mit großen Fritten reingewürgt, aber noch nicht ganz runtergeschluckt hat. Wie war das mit der Ampel?

„Vor anderthalb Jahren habe ich an einer roten Ampel zufällig Jeff Lynne getroffen. Ich hörte gerade CLOUD NINE von George Harrison, die Jeff produziert hat – hat mir sehr gefallen, die Platte. Ich winkte zu Jeff rüber: ,Komm mal eben mit zu mir‘ – und so haben wir angefangen, zusammen Songs zu schreiben.“

Daß die gemeinsamen Nummern erst jetzt auf Pettys Solo-Album FULL MOON FEVER veröffentlicht wurden, ist George Harrisons Schuld. Der Ex-Beatle war nach L.A. gekommen, um mit Lynne die B-Seite einer Maxi-Single aufzunehmen; Lynne hatte Petty und Roy Orbison gefragt, ob sie nicht mitmachen wollten; und weil die vier Schwierigkeiten hatten, auf die Schnelle ein freies Studio zu finden, riefen sie kurzerhand Bob Dylan an, der seine Garage für Aufnahmezwecke umgebaut hat. Die Traveling Wilburys waren geboren.

Hätte damals ein neugieriger Fan über Dylans Gartenzaun gespechtet, er hätte seinen Augen nicht getraut: Auf dem Rasen hockten fünf Pop-Legenden – jeder eine akustische Gitarre in der Hand – und klampften um die Wette.

„Das war eine der besten Erfahrungen meines Lebens“, strahlt Petty. „Die Sessions haben unglaublichen Spaß gemacht, aber was noch viel wertvoller ist: Wir sind richtige Freunde geworden. Daß das Album obendrein noch so ein Erfolg ist, können wir selbst kaum glauben.“

Pettys eigene Nummern mußten für das Mega-Projekt natürlich erstmal hintanstehen, aber nachdem die Wilburys ihr VOLUME ONE im Kasten hatten, machte er sich mit Lynne wieder an die Arbeit. „Ich hatte gar nicht vor, ein Solo-Album aufzunehmen, aber nachdem meine Heartbreakers gerade nicht verfügbar waren, kam ich irgendwann zwangsläufig auf die Idee, die Songs allein herauszubringen.“

Ganz ohne seine Jungs ging FULL MOON FEVER allerdings auch nicht ab. Gitarrist Mike Campbell war mit von der Partie, hat auch mitgeschrieben und in seinem Studio aufgenommen. „Die eigentliche Band bestand aus Jeff, Mike, mir und Phil Jones, einem wirklich grandiosen Drummer. George Harrison hat ein bißchen Gitarre gespielt und obendrein mit Roy (Orbison) und (Heartbreakers-Bassist) Howie Epstein Background gesungen. Und in einer Nummer spielt (Heartbreakers-Keyboarder) Benmont Tench Klavier.

Ich habe auch eine Nummer mit den Bangles gemacht, sie aber nicht aufs Album genommen. Nicht wegen der Bangles, die waren toll – ich fand bloß, daß die Nummer nicht ganz fertig war und möchte lieber nochmal dran arbeiten. Wahrscheinlich kommt sie mit aufs nächste Heartbreakers-Album. „

Andere FULL MOON FEVER-Songs – das Wiegenlied „Alright For Now“ zum Beispiel – kann man sich nur schwer auf einem Album der Heartbreakers vorstellen.

„Zumindest früher nicht“, meint Petty. „Wie das heute ist, weiß ich noch nicht genau.“

In seinen neuen Nummern ist nicht mehr so häufig von „unglücklichen Verliebten, Außenseitern und Träumern“ („New York Times“) oder „Verlierern aller Art“ („Musician“) die Rede, die früher die Heartbreakers-Texte reichlich bevölkerten.

„Ich habe echt genug davon, den Leuten mein Herz auszuschütten“, stimmt Petty zu. „Es macht mir viel mehr Spaß, bestimmte Charaktere zu erfinden und auszuarbeiten. Ich glaube auch, daß diese Platte humorvoller ist als die Heartbreakers-Scheiben. Ich stehe auf Humor, und davon gibt’s in der Rockmusik viel zu wenig.“

Außerdem vermißt Petty „richtige Songs“. Früher ein eingeschworener Radio- und Top 40-Fan, fällt es ihm heute immer schwerer, die Charts zu verfolgen.

„Ich höre längst nicht mehr soviel Radio. Regelrecht entsetzt war ich, als ich letztes Mal in Europa war: Das war die schlimmste Scheiße, die ich je gehört habe; noch beschissener als hier, und hier ist es schon ganz schön schlimm. Es tut mir leid, aber die meisten dieser Dance-Nummern sind einfach schlecht.“

Petty ist nicht der einzige Amerikaner, der sich in die gute alte Zeit zurücksehnt. In den Staaten machen ständig neue Radiosender auf, die sich auf classic rock spezialisiert haben und ausschließlich 50er-, 60er- oder allenfalls Früh-70er-Musik senden.

„Die Songs waren damals einfach besser“, grinst Petty und zuckt bedauernd die Achseln. „Irgendwo zwischen dem Guitar-Hero und der Drum-Machine ist die Song-Qualität verschütt gegangen: Erst kamen die Kerle, die bloß noch Guitar-Heroes sein wollten, keine Akkorde mehr spielen konnten, sondern Lederhosen anziehen und einfach dedl-edl-edledl machen wollten (er imitiert den typischen Sologitarren-Wichser),

und auf der anderen Seite des Spektrums haben wir die Leute, die gleich mit Computern arbeiten und gar kein Instrument mehr spielen können. Dem Rock-Song ist es in den letzten Jahren zunehmend schlechter gegangen. Darum hat es mich besonders gefreut, daß das Wilburys-Album so hoch in den Charts ist – das macht irgendwie wieder Mut. Vielleicht gibt’s da draußen doch noch ein Publikum, das auch andere Sachen hören will…“

Langzeit-Fans dürfte aufgefallen sein, daß Petty seit ein paar Jahren immer mehr Songs gemeinsam mit Nicht-Heartbreakers schreibt. Bis zum LONG AFTER DARK-Album (1982) war Gitarrist Mike Campbell sein einziger Co-Autor; seither hat er mit Eurythmic Dave Stewart, Bob Dylan und Jeff Lynne gearbeitet.

„Ich habe keine Ahnung, warum ich das früher nie gemacht habe. Ich schaffe viel mehr, wenn ich mit anderen schreibe: Man setzt sich einfach hin und macht die Sache fertig. Wenn ich für mich alleine arbeite, geht mir eine Idee oft monatelang durch den Kopf, bevor ich mich überhaupt ernsthaft mit ihr beschäftige. Außerdem habe ich viel dazugelernt, einfach indem ich anderen Leuten zugesehen habe, wie sie arbeiten.“ Mit den Traveling Wilburys hat Petty ürigens nicht nur Songs geschrieben – die fünf haben sich auch als Instrumenten-Bauer betätigt. „Irgendwann saßen wir zusammen und haben uns überlegt, wie toll es wäre, eine Klasse-Gitarre für wenig Geld auf den Markt zu bringen. Ich meine, wenn du heute eine richtig gute Stratocaster aus den 50ern kaufen willst, mußt du 7000 Dollar dafür hinblättern. Mit so einem raren Ding fühle ich mich einfach nicht wohl.

Wir haben Entwürfe gemacht, Fred Gretsch angerufen, und der war sofort begeistert. Gretsch bringt jetzt vier verschiedene Modelle auf den Markt, für Anfänger und Profis: Jede sieht anders aus, und keine kostet mehr als 200 Dollar. Die Gitarren werden nicht mit Koffer verkauft, sondern im Pappkarton mit der Aufschrift ,Traveling Wilburys‘. Echt tolle Dinger, kann ich nur empfehlen.“

Wer wissen will, wie die aussehen: George Harrison spielt schon eine im „Handle With Care“-Video.