Unschuld vom Nordlande


Sllje Nergaard: Diese Stimme hat schon manchem Kritiker die poetische Ader schwelten lassen: ein wenig geheimnisvoll, andererseits so unverdorben und unschuldig wie die eines Kindes, so rein wie das Wasser eines Gebirgsbachs. Sie gehört einer jungen Frau aus Oslo, die im Alter von 16 Jahren von Gitarrenlegende Pat Metheny entdeckt wurde, als sie sich beim Motde-Festival zu einer Jam-Session auf die Bühne mogelte. Heute ist Silje Nergaard nicht nur der Stolz der norwegischen Jazzszene. In Japan hat man sogar einen Wein nach ihr benannt – bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass den Bewohnern Nippons ein Gen fehlt, das ihnen hilft, Alkohol zu vertragen und abzubauen.

Auf nightwatch, das die Romantikerin mit dem Tord Gustavsen Trio und Gästen wie Ex-Steps-Ahead-Saxofonist Bendik Hofseth und Supersilent-Trompeter Arve Henriksen aufnahm, schwelgt sich Silje Nergaard durch verwunschene, sündschöne Balladen, locker federnde Bossas und ein paar wenige Groovenummern. Die Songs, die die Sängerin meist mit ihrem Schwager, dem PEN-Poeten Mike McGurk, schreibt, leben nicht nur von ihrer glockenhellen Stimme, sonder auch durch die Gegensätze, die sich bei ihr so magisch anziehen: Traurigkeit und Lebensfreude, Pop-Appeal und Jazz-Anspruch. „Ich trage zwei Seiten in mir, eine melancholische und eine ganz unbeschwerte, und beide vertragen sich prima. Meine Musik ist eben nicht nur nett, schön und angenehm, da gibt es auch eine tiefere, nachdenklichere Ebene“, sagt Silje im Flüsterton, schließlich will sie ihre erst ein paar Monate alte Tochter, die nebenan schlummert, nicht wecken. „Am Pop mag ich das Griffige, die Melodien, die strenge Form, am Jazz die Lockerheit, die Akkordfarben, die Verspieltheit, die Improvisation.“ Silje Nergaard unterfüttert glasklare, eingängige Melodien mit Harmonien, die in ihrer Zusammensetzung von höchster Finesse zeugen. „Ich glaube, das habe ich von Steety Dan gelernt. Deren Melodien sind nicht allzu kompliziert, ober dafür die Akkordverbindungen sehr komplex und irgendwie unglaublich cool. Ich möchte, dass Komplexität und Einfachheit sich bei mir vereinen und doch ihre Eigenheiten bewahren. Übrigens, wenn ich singe und schreibe, analysiere ich nichts, sondern versuche einfach zum Herz eines Songs vorzudringen.“ Das schafft sie locker. Und so ist es vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis auch hierzulande eine Südhang-Lage ihren Namen trägt.