Vaters Sünden


So explizit politisch wie auf REAL GONE hat sich Tom Waits nie zuvor geäußert: Auch er sieht sich durch "seine" Regierung herausgefordert.

Für die Aufnahmen seines neuen Albums REAL GONE hat sich Tom Waits mit ein paar Musikern in ein altes Schulgebäude im Delta zurückgezogen – nicht im Mississippi-Delta, sondern im Sacramento-Delta, Kalifornien. Das liegt näher an seinem Zuhause. Sein Piano hat er trotzdem nicht mitgenommen, und so stehen auf dem neuen Album Saiteninstrumente im Vordergrund, so ziemlich alles von der Gitarre bis hin zu einem Zigarrenkisten-Banjo, real gone zeigt Waits wie gehabt, allerdings unter einem neuem Blickwinkel. Konkreter als je zuvor trifft er, wie viele andere Rockmusiker aus den USA in diesen Tagen, in seinen Textenpolitische Aussagen. Es geht um den Krieg im Irak und Generationen von Präsidenten mit dem Namen Bush. Er tut dies nicht wirklich ausdrücklich , hält diese Inhalte zeitlos, und dennoch sind sie unüberhörbar. Besondere Zeiten fordern auch einen Waits heraus.

Du hast auf deinem neuen Album darauf verzichtet, Piano zu spielen. Die Gitarren stehen im Vordergrund. Hattest du das von Anfang an geplant?

Man kann diese Dinge nicht planen. Wenn du einen Song aufnimmst, der lebendig ist, dann sagt dir der Song, was er haben will. Das ist wie bei einer Herztransplantation. Entweder nimmt der Körper das Organ an oder eben nicht. Bei diesem Album wurden alle Instrumente abgestoßen, die man deshalb nun auch nicht zu hören bekommt. Wir haben uns einfach an die Instrumente gehalten, die griffbereit waren und die wir haben wollten.

Und das ist dann genau der richtige Dreh für deine Musik?

Du musst offen für andere Dinge sein. Howlin Wolf liebte den Country-Sänger Linie Jimmy Dickens und Jimmy Rodgers. Er liebte Cowboy-Musik – Hopalong Cassidy und Roy Rogers. Bob Wills von den Texas Playboys ist mit einem Pferd 100 Meilen geritten, um einen Auftritt von Bessie Smith in einer Bar mitzuerleben. Das sind alles Dinge, die die Musik vorantreiben. Es bricht an der einen Stelle auseinander und findet auch wieder einen neuen Weg. Allerdings werden wir inzwischen alle in Kategorien eingeteilt. Die Plattenfirmen haben ein feines Raster entworfen, um sicherzustellen, dass wir auf dem besten Weg an die entsprechenden Kunden vermarktet werden: „Das hier ist die Musik für den weißen Mann zwischen 18 und 35.“ Die Radiostationen gehören Großunternehmen und sind vollkommen unbeweglich geworden. Da gibt es keine gegenseitige Befruchtung mehr. Wenn du etwas Besonderes haben willst, dann musst du es schon selbst machen.

Und wie stellst du das an? Weißt du, worauf es mir wirklich ankommt? Hast du schon einmal in einem Hotel in der Innenstadt übernachtet? Wenn du dort am Morgen das Fenster öffnest, schlagen dir die unterschiedlichsten Gerüche entgegen. Da Hegt der Geruch von Pfirsichen und Diesel in der Luft, von Donuts und Benzin, von Glückskeksen und verschmortem Elektrokabel, von Popcorn und verbranntem Gummi. Alle diese Gerüche ziehen auf einmal in dein Fenster rein, umgeben dich, machen dich ein wenig high. Darauf will ich hinaus, das versuche ich zu erreichen. Ich versuche es einzufangen und in Flaschen abzufüllen.

Verstehst du „The Day After Tomorrow“ als deinen ersten ausgesprochen politischen Song?

Das mag bei diesem Song offensichtlicher als bei anderen sein, aber ich habe auch in der Vergangenheit politische Songs gebracht. Zum Beispiel „In The Colosseum“, „Dirt In The Ground“, „Misery Is The River Of The World“, „God’s Awav On Business“.

Das Engagement geht aber offensichtlich über das Songschreiben hinaus. „The Day After Tomorrow“ ist auch auf dem Album future Soundtrack for america zu hören, einer Compilation. deren Macher sich für einen Regierungswechsel in Washington einsetzen…

Nun, ich denke, dass wir rief in Schwierigkeiten stecken. Wir haben unseren eigenen kleinen Mussolini in Washington (lacht). Die Zeiten in diesem Land sind wirklich schwer geworden. Die Büchse der Pandora ist schon längst geöffnet worden. Und ich fürchte, dass uns die Munition ausgeht. Als Nächstes wird er vermutlich die Wehrpflicht wieder einführen. All diese armen Soldaten, die mit dem Fernseher aufgewachsen sind und mit Patriotismus gefüttert wurden. Ihre Wahrheiten über das Soldatendasein haben sie aus der Werbung gelernt. Die wissen nicht, wofür sie eigentlich kämpfen. Und die sind gerade mal 18 Jahre alt, sie befinden sich auf der Höhe ihrer sexuellen Kraft und stehen kurz vor der Explosion. Sie werden zu einem Nichts zerbrochen, um schließlich zu Killermaschinen umgebaut zu werden, die wie kleine Gewehre aussehen. Und als solche werden sie auch betrachtet. Aber ich bin kein Politiker. Ich setze mich mit dem Zustand des Menschen auseinander in Bezug auf die Kultur und den Geist.

Deshalb auch der ganz eigene Ansatz in „The Day After Tomorrow“ -.Der Songtext ist der Brief eines Soldaten im Krieg an seine Leute zuhause…

Ich will der Sache ein menschliches Gesicht verleihen. Du musst den Leuten ein Gesicht geben. Bomberpiloten trainieren mit Videogames. Die wissen genau, was die Jungs, die sie ins Bootcamp schicken, ihr Leben lang gemacht haben: Videogames gespielt (lacht). Der Abwurf von Bomben soll entmenschlicht werden: „Es ist ja nur irgendein ,Ziel‘.“

Würden John Kerry und John Edwards den Job besser erledigen ?

Keine Ahnung. Aber schlimmer kann es nicht kommen. Das ist eine Verschwörung. Das ist ein Hexenkessel dort in Washington. Es ist wie ein Theaterstück, das sie vor 25 Jahren geschrieben haben. Sie schreiben heute noch daran, und wir blättern nur die Seiten um.

George Bush senior hat eine wichtige Rolle darin gespielt. Und inzwischen hat sein Sohn übernommen. Dein Song „SinsOfMyFather“ handelt davon…

Ja, die Sünden seines Vaters. Und jetzt müssen seine Kinder mit den Sünden ihres Vaters leben. Im ganz, ganz großen Rahmen. Die Welt hat es zur Zeit nicht leicht.